Im Gespräch: Joschka Fischer : „Wir wissen doch, wohin dieses völkische Denken geführt hat“
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Als Taxifahrer ehedem gern flott unterwegs: Joschka Fischer Bild: Matthias Lüdecke
Außenminister a. D. Joschka Fischer findet nicht jede Idee der Grünen gut. Im Interview spricht er über die Angst vor Flüchtlingen, die Jungfrau Maria, Bolschewiken und das Rätsel Gauland.
Stellen wir uns vor, Sie wären wieder Taxifahrer in Frankfurt und müssten auf dem schnellsten Weg von der Europäischen Zentralbank zur Schumannstraße.
Hanauer Landstraße in Richtung Zoo, Friedberger Anlage, Eschenheimer Anlage zur Alten Oper, Bockenheimer Landstraße und von dort ins Westend. Die aktuelle Einbahnregelung habe ich allerdings nicht im Kopf.
Welcher Taxifahrer-Typ waren Sie?
Ein schweigender. Ich fuhr vorwiegend nachts, und je später es wurde, desto lauter drehte ich die Musik auf, die meisten hatten nichts dagegen. Ich schaute, dass ich vorankam und Umsatz machte.
Wenn es nach Ihren grünen Frankfurter Parteifreunden geht, müssten Sie nachts Tempo 30 einhalten.
Das glauben Sie doch nicht im Ernst. Ich bin ja auch für Lärmschutz, aber das Leben ist nun mal, wie es ist. Nachts sind die Straßen leer, die Kundschaft steht auf der Straße, und es muss Geld reinkommen.
Verdiente man damals gut?
Das hing von der Situation ab. Zu Messezeiten und wenn die amerikanischen Soldaten Pay Day hatten, konnte man anständig verdienen.
Haben Sie manchmal Heimweh nach Frankfurt, und sei es wegen der Performance der Berliner Verwaltung?
Das ist natürlich eine hochpolitische Frage. Die Berliner Verwaltung ist etwas, an das man sich eigentlich nicht gewöhnen kann, das geht den meisten aus dem Westen Zugezogenen so. Berlin als Stadt aber ist unglaublich, ich will hier nicht weg - emotional bin ich allerdings in Frankfurt hängengeblieben. Das waren meine prägenden Jahre mit vielen persönlichen Erinnerungen und Beziehungen. Insofern sind Berlin und Frankfurt für mich schwer vergleichbar. Das sind zwei völlig unterschiedliche Stadt-Typen, Berlin alleine hat die Dimension des Rhein-Main-Gebiets.
Ist diese Größe wirklich ein Vorteil?
Nach dem Ersten Weltkrieg Groß-Berlin zu schaffen war eine ungeheuer weitsichtige Entscheidung der damals politisch Verantwortlichen und mitnichten unumstritten. Leider ist der Level der heutigen Berliner Verwaltung nicht auf dem Niveau dieser großartigen Vorgänger.
Hat das zu dem Berliner Wahlergebnis beigetragen?
Ich denke, es hat erheblich dazu beigetragen. Versuchen Sie mal, auf einem Bürgeramt einen Termin zu bekommen!
Wie häufig werden wir Sie in dem neuen „Zentrum für Angewandte Europastudien“ in Frankfurt sehen?
Das hängt davon ab, wie oft ich eingeladen werde, aber das Zentrum ist für Frankfurt eine großartige Sache, zumal der Brexit der Stadt große Chancen eröffnet. Mir wäre lieber gewesen, die Briten wären in der EU geblieben, damit Sie mich nicht missverstehen, aber für Frankfurt ist das schon eine Chance, die sich nicht jedes Jahr bietet. Mein Eindruck ist, dass man das in der Stadt weiß und diese Chance nutzen will. Insofern passt diese Gründung gut zur Fachhochschule.
Sie sagen lieber Fachhochschule als University of Applied Sciences?
Aber ja, obwohl ich dem Englischen durchaus zugetan bin.
Im Brexit-Votum ist unter anderem eine Eliten-Skepsis zum Ausdruck gekommen. Sie waren in Ihrem Leben Eliten-Gegner, dann Teil der politischen Elite. Wie erklären Sie sich diese Einstellung, die bei vielen ja mehr ist als Skepsis, fast schon Eliten-Hass?