Angriff in Dietzenbach aus Rache? : „Wer hier lebt, braucht ein Gemüt aus Beton“
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Gewalt im Schatten der grauen Hochhäuser: Das Dietzenbacher Spessartviertel ist in der Vergangenheit als Problemviertel aufgefallen. Bild: dpa
Polizei und Feuerwehr werden bei einem Einsatz in hessischen Dietzenbach bereits erwartet – von gut 50 männlichen Steinewerfern. Gerüchte machen die Runde, es handele sich um eine „Racheaktion“. Das Viertel hat eine bewegte Vergangenheit.
Nicht zum ersten Mal sind im Dietzenbacher Spessartviertel Steine und Flaschen auf Polizisten geworfen worden. Diesmal allerdings gab es keine Vorwarnung. Nichts, was auf einen solch eruptiven Gewaltausbruch hätte schließen lassen. Und einiges spricht dafür, dass die Einsatzkräfte, die in der Nacht zum Freitag eigentlich nur einen Brand am Mespelbrunner Weg löschen wollten, tatsächlich in einen Hinterhalt gelockt wurden.
Nachdem der Einsatz beendet war, bei dem es auf Seiten der unvermittelt Angegriffenen „zum Glück keine Verletzten“ gegeben habe, seien in der näheren Umgebung mehrere eigens angelegte Steinlager entdeckt worden, sagte Polizeisprecher Michael Malkmus am Freitagmorgen nach dem Großeinsatz. Um den Feuerwehrleuten und ihren bedrängten Kollegen zu helfen, waren kurz nach Mitternacht rund 50 Polizisten und ein Hubschrauber in die Kreisstadt des Landkreises Offenbach geschickt worden.
Zumindest einer der rund 50 offenbar ausnahmslos männlichen Steinewerfer habe gefasst werden können, heißt es in der ersten Bilanz der Polizei. Zwei weitere Personen, die trotz Platzverweises die Arbeit der Helfer fortwährend und massiv gestört hätten, seien in Gewahrsam genommen worden. Gerüchten zufolge könnte es sich um eine „Racheaktion“ gehandelt haben, nachdem die Polizei vor wenigen Tagen in dem Viertel mit zwei Lastwagen mehrere Kellerräume hatte leeren lassen, in denen Diebesgut vermutet wurde – darunter mehr als 200 Fahrräder, Baumaschinen und Werkzeuge. Für die Ermittler ist dies aber nur eine denkbare Erklärung für den Gewaltausbruch, durch den ein Schaden in Höhe von mindestens 150.000 Euro entstanden ist.
Entsetzen über den Angriff
Gegen Mitternacht waren die ersten Anrufe auf der Wache eingegangen, dass in der früher als Starkenburgring bekannten und gefürchteten Hochhaussiedlung ein Feuer ausgebrochen sei. Wie die Polizisten später herausfinden sollten, waren mehrere Mülltonnen und ein abgestellter Bagger wohl vorsätzlich angezündet worden. Es habe sich „um eine vorbereitete Aktion“ gehandelt, so die Auffassung der Einsatzkräfte. Schließlich seien eigens für den Angriff benötigte Steinhaufen gefunden worden, unter Büschen, aber auch auf einem nahegelegen Parkdeck, von dem aus die Angreifer hauptsächlich operiert hatten. Die Auseinandersetzung selbst war laut Malkmus zwar vergleichsweise schnell zu Ende. Dennoch habe es bis gegen 2 Uhr gedauert, das Wohngebiet abzusuchen und Spuren zu sichern. Von der massiven Gewalt und der Vielzahl der Beteiligten zeigte er sich am Freitag ebenso geschockt wie die politisch Verantwortlichen in Stadt, Kreis und Land.
Landrat Oliver Quilling (CDU) bezeichnete die Attacken auf Polizisten und Feuerwehrleute, „die Tag und Nacht in unserem Kreis in Bereitschaft sind, um zu helfen“, am Freitag als „völlig inakzeptabel“. Rund 35 Wehrleute seien mehr als drei Stunden im Einsatz gewesen, um gleich mehrere Brände am Lohrer, am Rohrbrunner, am Mespelbrunner und am Markheidenfelder Weg zu bekämpfen sowie das Gelände anschließend dann auch noch für die notwendige Polizeiarbeit auszuleuchten. Die beiden aus der Region stammenden CDU-Abgeordneten im Landtag respektive Bundestag, Ismail Tipi und Björn Simon, verurteilten „den feigen und hinterhältigen Anschlag“ ebenfalls, der als Angriff auf die gesamte Gesellschaft zu werten sei. Dietzenbach sei eine multikulturelle Stadt, deren Bürger nach einer solchen Gewaltaktion jetzt sicher noch näher zusammenrücken werden, so die beiden Politiker.
Die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft mit Sitz in Solingen verlangt von der Justiz, „diese gewalttätigen Personen mit voller Härte unserer Gesetze zu bestrafen“. Wie zuvor der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) fordert die Gewerkschaft, „dass solche Straftäter ins Gefängnis gehören“, weil es sich dabei keinesfalls um Bagatellfälle handele. Zum Glück seien beim Einsatz in der Kreisstadt keine Rettungskräfte verletzt worden.
„Monotonie gestapelten Betons“
Von der „Monotonie gestapelten Betons“ hatte schon 1981 Adolf Kühn in der F.A.Z. geschrieben, als es um das anfangs als Rosenpark vermarktete Hochhausquartier am Starkenburgring ging, welches auf Grundlage völlig überzogener Wachstumsprognosen buchstäblich aus dem Dietzenbacher Boden gestampft worden war. „Wer hier lebt, braucht ein Gemüt aus Beton“, befand der von einer missglückten Stadtplanung berichtende Autor seinerzeit. Und daran dürfte sich bis heute kaum etwas geändert haben. Nur so viel, dass man inzwischen um die Schwierigkeiten des Zusammenlebens auf engsten Raum weiß – und es deshalb entsprechende Angebote gibt, um Konflikte frühzeitig einzufangen und im Idealfall zu lösen. Schließlich wohnen aktuell mehr als 3200 Menschen aus gut 80 Nationen, darunter viele sozial schwache Familien mit geringem Einkommen, in den hoch aufschießenden Blocks, die in den siebziger Jahren gemäß der damals vorherrschender Architektenlehre als reine Schlafstätten konzipiert wurden: ohne Cafés, Restaurants, Grünflächen oder Einkaufsmöglichkeiten.
Im Laufe der Jahrzehnte haben das Viertel und seine Bewohner bessere und schlechtere Zeiten erlebt: Mal galt es als „problematischer sozialer Brennpunkt“ mit hohem Kriminalitätsaufkommen, dann wieder bescheinigte selbst die Polizei dem Spessartviertel, „ganz normal“ zu sein. Eine Bewertung, die – wie die Ereignisse aus der Nacht zum Freitag zeigen – immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden muss.