Für den Wohnzimmer-Maestro : Ein Schlagwerkzeug
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Für den Wohnzimmer-Maestro: Ein würdiger Stab muss es sein. Bild: PantherMedia / Andriy Popov
In den eigenen vier Wänden gibt man gerne selbst den Ton an. Ein edler Taktstock verleiht dem Wohnzimmer-Maestro letzte die Gewalt über die musizierenden Heerscharen.
Schon vor Corona war das Wohnzimmer unser liebster Konzertsaal. Einmal wöchentlich erklingen dort die monumentalsten Werke der Musikgeschichte – Totenmessen von Berlioz bis Britten, Apotheosen der Spätromantik von Mahler und Bruckner, prä- und postrevolutionäre Tongemälde von Strawinsky, Prokofjew und Schostakowitsch.

Blattmacher in der Rhein-Main-Zeitung.
In Vertretung von Karajan, Solti oder Janssons übernimmt der Hausherr vom Sessel aus die Lenkung der Klangfluten, die sich aus den Lautsprecherboxen ergießen – seit Kindertagen ist das Dirigieren virtueller Großorchester eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen.
Ein würdiger Stab
Während der zehnjährige Nachwuchskapellmeister gerne zu einer von Mutters Stricknadeln griff, um seinen Armbewegungen mehr Grazie zu verleihen, beschränkte sich der gereifte Klassikfreund bisher auf rein manuelle Zeichengebung, wohl wissend, dass etliche Orchesterleiter der jüngeren Generation ohne Schlagwerkzeug auskommen. Mit fortschreitendem Alter wächst aber wieder die Sehnsucht nach althergebrachten, bildungsbürgerlichen Ausdrucksformen, weshalb nun der Entschluss gefasst ist: Ein edler Taktstock muss her.
Zwar schwankt die Schlagtechnik je nach Tagesform zwischen den Pult-Ekstasen eines Leonard Bernstein und der Maxime von Richard Strauss, die linke Hand gehöre beim Dirigieren in die Westentasche. Doch wie groß die Arm-Amplitude auch sein mag: Nur ein würdiger Stab, so die wachsende Überzeugung, verleiht dem Wohnzimmer-Maestro letzte Gewalt über die musizierenden Heerscharen von Schönbergs „Gurreliedern“ oder Mahlers Achter.
Vor vielen Jahren hat der Hobbydirigent des imposanten Notenbilds halber die Partitur der „Gurrelieder“ erworben. Kommt der Taktstock hinzu, kann er endlich dem Beispiel Gilbert Kaplans folgen – jenes Unternehmers und Journalisten, der einst als begeisterter Laie ein Sinfonieorchester mietete und mit beachtlichem Erfolg Mahlers Zweite einstudierte. Nur eine Kleinigkeit wäre noch zu erlernen: das Notenlesen.