Das Jahr ohne Sommer : Als der Tambora den Himmel verdunkelte
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Weggesprengt: Vom 4200 Meter hohen Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa blieb nach der gigantischen Explosion im April 1815 kaum mehr als die Hälfte übrig. Bild: dpa
Vor 200 Jahren erlebten die Menschen in Hessen wie in ganz Mitteleuropa einen katastrophalen Sommer. Unwetter führten zu desaströsen Missernten und einer Hungersnot. Schuld daran war ein Vulkan am anderen Ende der Welt.
Selbst Goethe hatte keine Ahnung, woher das Unglück kam. Der Sommer des Jahres 1816 war für den Dichter ohnehin ein besonders trauriger. Am 6. Juni starb seine junge Frau Christiane, die er zehn Jahre zuvor in Weimar geheiratet hatte. An ihrer Beisetzung auf dem Jacobsfriedhof in Weimar nahm der inzwischen als Staatsminister tätige Witwer nicht teil, aber er widmete ihr ein Abschiedsgedicht, das ihren Grabstein ziert: „Du versuchst, o Sonne, vergebens,/ Durch die düstren Wolken zu scheinen!/ Der ganze Gewinn meines Lebens/ Ist, ihren Verlust zu beweinen.“ Diese Zeilen sind ein Hinweis darauf, was den damals Sechsundsechzigjährigen wie so viele seiner Zeitgenossen in diesem Sommer ebenfalls beschäftigte: „das böse Wetter“.
Der Sommer vor 200 Jahren ist kein normaler Sommer. In ganz Europa ist es ungewöhnlich kalt, und es regnet ohne Unterlass. In seinem Tagebuch schreibt Goethe von „sehr kalter Luft“, vom „schrecklich durchwässerten Zustand des Gartens“, von der „höchst unerfreulichen, lästigen und schädlichen Witterung“ und einem Sommer, der ihn „mehr niederhält als aufrichtet“. Niedergeschlagen versucht er sich durch einen Kuraufenthalt dem „fürchterlichen Wetter“ zu entziehen, aber auch im kursächsischen Schwefelbad Tennstadt macht „diese Witterung (…) den Aufenthalt zu einer leidigen Angelegenheit“. Und auch zurück in Weimar, quälen ihn die „unsichern Nebel- und Regentage“.
Nicht nur Europa betroffen
Anders als manche, die in dem katastrophalen Wetter eine Strafe Gottes vermuten und Weltuntergangsszenarien anhängen, beschäftigt sich Goethe auch aus naturwissenschaftlicher Sicht mit dem Phänomen und tauscht sich mit Physikern und anderen Forschern aus. Der Grund für das „Jahr ohne Sommer“ bleibt ihm wie allen anderen dennoch verborgen. Zwar erfährt der Dichter schließlich Monate später, im Februar 1817, in Johann Friedrich Cottas „Morgenblatt für die gebildeten Stände“ vom Tambora und seinen Eruptionen. Einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch dieses Vulkans auf der indonesischen Insel Sumbawa, von dem kaum jemand in Europa je gehört hatte, und der ungewöhnlich schlechten Witterung im Frühjahr und Sommer 1816 kann er aber nicht herstellen.
Und doch ist es nach allem, was die Forschung heute weiß, dieser feuerspeiende Berg am anderen Ende der Welt, der die Schuld an der Wetterkatastrophe trägt, die 1816 und in den folgenden Jahren nicht nur in Europa, sondern in vielen Teilen der Welt enorme Verwerfungen und großes Elend verursacht. Der Historiker Wolfgang Behringer, Professor an der Universität des Saarlandes, beschreibt in seinem Buch „Tambora und das Jahr ohne Sommer“, wie der Ausbruch im April 1815 nicht nur das Inselreich Indonesien und ganz Asien in Turbulenzen stürzte, sondern - mit einer gut einjährigen Verspätung - auch Nordamerika und Europa.