Historiker Daniele Ganser : Der Star der Putin-Versteher
- -Aktualisiert am
In der Kritik: Daniele Ganser Bild: Imago
Die Vorträge des Schweizer Historikers Daniele Ganser über den Ukrainekrieg sind schwer beliebt – und höchst umstritten. Nun will Ganser in Offenbach auftreten.
Er tritt smart auf, mit Headset, vor großer LED-Leinwand. Er spricht sachlich, ist schlagfertig, mit seinen Argumenten und Fragen entwickelt er ein zusammenhängend und schlüssig wirkendes Bild. Doch mit den Fakten nimmt er es nicht so genau. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser erwähnt meist nur das, was zu seiner Argumentation passt, und verbreitet Verschwörungsmythen. Das macht ihn, für den Tübinger Osteuropaforscher Klaus Gestwa etwa, aber auch für viele andere, so „brandgefährlich“.
Ganser ist der neue Star des verschwörungsideologischen Milieus und der Anhänger von „Alternativmedien“ wie „Rubikon“, „KenFM“, „NachDenkSeiten“ und „Compact“. Der selbst ernannte „Friedensforscher“ spricht all denen aus der Seele, die hinter dem Ukrainekrieg eine Verschwörung wittern, die glauben, dass Russland sich mit seinem brutalen Angriff auf das Nachbarland nur wehrt gegen einen perfiden Plan des Westens unter amerikanischer Federführung.
Gerade tourt er höchst erfolgreich mit einem Vortrag unter dem Titel „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Ganser spricht in großen Hallen, viele seiner Veranstaltungen sind lange im Voraus ausverkauft. Ende März kommt er auch in die Rhein-Main-Region: Dann wird der umstrittene Historiker in der Offenbacher Stadthalle auftreten.
Vor gut 20 Jahren stand Ganser noch am Beginn einer vielversprechenden Universitätskarriere, am Historischen Seminar Basel wurde er mit einer Dissertation zu der geheimen paramilitärischen NATO-Organisation Gladio zum Doktor der Philosophie promoviert, von 2003 an war er Senior Researcher an der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
Krudes über den elften September
Doch sein Vertrag dort wurde nicht verlängert, weil Ganser angefangen hatte, krude Ansichten zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu verbreiten. Entgegen den offiziellen Untersuchungen vertritt Ganser die These, dass ein Nebengebäude des World Trade Center, WTC7, damals nicht durch den islamistischen Anschlag, sondern durch eine gezielte Sprengung zerstört wurde. Die Anschläge des elften Septembers mit beinahe 3000 Todesopfern, das suggeriert Ganser mit dieser Lesart, könnten von Geheimdiensten also durchaus „gewollt“ gewesen sein.
Auch den „Euromaidan“, den Kiewer Aufstand gegen die ukrainische Annäherung an Russland, der mit der Flucht des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch endete, beschreibt Ganser regelmäßig als eine von amerikanischen Geheimdiensten gesteuerte und finanzierte Verschwörung. Bei seinen Vorträgen verbreitet er auch die lange widerlegte Behauptung, der Westen habe im Zuge der Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung zugesichert, dass es zu keiner NATO-Osterweiterung kommen werde. Ganser behauptet auch, dass es erwiesen sei, dass der amerikanische Präsident Joe Biden den Befehl zur Sprengung der Nord-Stream-Gaspipelines erteilt habe und CIA-Agenten den Plan dafür ausheckten.
Der Antiamerikanismus zieht sich wie ein roter Faden durch seine Auftritte und Publikationen. Dabei geht der Historiker in der Regel sehr geschickt vor. Seine Vorträge sind gespickt mit Suggestivfragen. Statt klarer Thesen liefert Ganser Fragen und Gedanken, mit denen er sich nicht eindeutig festlegt. Seine Botschaft, dass die Bürger betrogen werden, dass geheime Mächte das Weltgeschehen lenken, bleibt trotzdem hängen – und wird im Milieu der „Querdenker“ und Putin-Unterstützer sicher bereitwillig aufgesogen.
„Antiwestlicher Verschwörungsunternehmer“
Ganser wird aber auch stark kritisiert. Viele Forscher werfen ihm vor, dass er unwissenschaftlich und selektiv arbeite, dass es ihm nicht um Fakten, sondern um Propaganda gehe. Michael Blume, der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte, nannte Ganser gegenüber dem Portal „t-online“ jüngst „einen antiwestlichen Verschwörungsunternehmer, der mit der Verbreitung von Verschwörungsmythen seit Jahren Geld verdient“.
Häufig regt sich dort, wo der umstrittene Historiker auftreten will, auch Protest. In Basel wird zurzeit heftig darüber gestritten, ob Ganser im dortigen Stadtcasino auftreten soll, in Aachen gab es wegen eines geplanten Auftritts Kundgebungen von Gegnern und Anhängern des umstrittenen Historikers. In Nürnberg und Dortmund wurden Vorträge nach Protesten abgesagt. In Offenbach ist bislang noch keine große Debatte über Gansers geplanten Vortrag entbrannt.