Krawalle in Frankfurt : Revoluzzer! Wir sind Revoluzzer!
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Finger und Friede: Eine Demonstrantin zeigt ihr ambivalentes Verhältnis zum Geschehen Bild: Norbert Müller
Wieso werden die Frankfurter Krawalle in einem Atemzug mit dem Kiewer Majdan genannt? Wie kommen die Blockupy-Aktivisten darauf? Darin äußert sich der neue Systemkonflikt – und der Euro ist mittendrin. Eine Analyse.
Zu den absurden Reaktionen auf die Zerstörungswut militanter Demonstranten in Frankfurt gehörte am Mittwoch eine Äußerung der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Heike Hänsel. Sie erregte sich über die „Stimmungsmache“ gegen den Veranstalter der Proteste, das Blockupy-Bündnis, und schrieb: „Auf dem Majdan in Kiew waren Rauchschwaden für die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung!“ Mit anderen Worten: Dort feiert ihr die Freiheitskämpfer, aber wenn wir für die Freiheit kämpfen, dann wird das als Randale verurteilt.
Wie kommt man aber dazu, an den Majdan zu erinnern, wenn in Frankfurt gegen die Euro-Politik protestiert wird? Was hat der gewaltbereite „Widerstand“ gegen die EZB und die Finanzpolitik der Troika gegenüber Griechenland mit der Freiheitsbewegung in der Ukraine zu tun, die von der Linkspartei im Sinne der Kreml-Propaganda stets als Rückfall in den Faschismus verurteilt wurde?
Brandgeruch, der sich verbindet
Die etwa fünfzig Gruppen und Grüppchen, die sich im Blockupy-Bündnis zusammengeschlossen haben, darunter: die Linke, Attac, Autonome, Syriza, „Revolutionäre Sozialisten“ und die „Interventionistische Linke“ und viele andere Systemkritiker, eint Zweilerlei: der Antikapitalismus und ein Demokratieverständnis, das der parlamentarischen Demokratie feindselig gegenübersteht. Die Kampfrufe, die am Mittwoch in EZB-Nähe skandiert wurden („Revoluzzer! Wir sind Revoluzzer!“), sind dieselben revolutionären Sprüche, die Frankfurt schon aus früheren Zeiten kennt – wie auch der Brandgeruch, der sich damit verbindet. Also alles wie gehabt?
Das Stichwort „Majdan“ lässt etwas anderes vermuten, taucht in diesem Zusammenhang aber nicht von ungefähr auf. Es wurmt die „revolutionäre“ Linke, wie es sie schon vor 25 Jahren wurmte, dass sich in den Staaten des „Ostblocks“, also im „Zwischenreich“ zwischen Russland und der „alten“ Europäischen Gemeinschaft, nicht etwa ihr Demokratie- und Freiheitsbegriff durchsetzte, sondern der „bürgerliche“ des Westens. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob sie diesen Systemkonflikt tatsächlich verloren hätte. Jetzt aber hat sie einen neuen Verbündeten und ein neues Feindbild, die ihr jeweils neues Leben einhauchen.
Das neue Feindbild ist klar: der globale (amerikanische) Finanzkapitalismus, dessen europäischer Ableger die Troika und der Euro sind, die Länder wie Griechenland knechten und knebeln; und die „Postdemokratie“ nach Colin Crouch, die sich nur noch so nennt und regelmäßig Alibiwahlen veranstaltet, aber angeblich von Konzernen und Finanzjongleuren gesteuert wird und das Volk seiner Souveränität beraubt. „Brüssel“ und „Frankfurt“ sind Symbole dieser „Unterdrückung“.
Interessanter sind die neu-alten Verbündeten: Es sind die „Volksdemokratien“, als die sich Länder wie Russland, China oder – unter Chavez – Venezuela aufspielen. Zwar gelten gerade diese Systeme als „Diktatur 2.0“, die genau das sind, was westlichen Demokratien als „Postdemokratie“ unterstellt wird – Alibi-Demokratien unter der Führung einer korrupten Elite. Sie dienen „revolutionären“ Bewegungen paradoxerweise trotzdem als Vorbilder für die Zukunft, in der ein kapitalistisches System angeblich durch den „Volkswillen“ gebändigt wird, der sich gerne auch nur in einer Partei oder gar nur in einer Person, dem „Revolutionsführer“, manifestieren darf.
Hier stehen die „Revolutionäre“ der Gegenwart mit ihrer Putin-Verehrung in einer unseligen Tradition der Anbetung Stalins, Fidel Castros oder Pol Pots und treffen sich übrigens linke wie rechte Systemkritik: Das Schild „Putin hilf uns“ könnte auch von der Linkspartei erfunden worden sein. Die „Wir-sind-das-Volk-Spaziergänge“ in Dresden waren nur schneller.
Die Krawalle in Frankfurt am Mittwoch waren also altbekannt und doch sehr neu. Denn neben der außenpolitischen und militärischen Konfrontation zwischen Ost und West, die sich wegen des Kriegs in der Ukraine als neuer „Kalter Krieg“ darstellt, kündigt sich in diesen Krawallen auch wieder ein Systemkonflikt an. Der Euro und die als „Rettungseuropäer“ von links wie von rechts verhöhnten Europapolitiker sind dabei unversehens zwischen die Fronten geraten.
Aber auch das hat eine gewisse Tradition: die Integration der Europäischen Gemeinschaft war schon zu Zeiten des Kalten Kriegs die Antwort auf den Gegensatz zwischen Ost und West. Die ursprüngliche politische Funktion der Gemeinschaftswährung, nämlich – wer erinnert sich heute noch daran? – Deutschland zu „bändigen“, ist in den Hintergrund getreten. Der Euro hat eine neue Rolle übernommen: Es ist die Währung des Westens in der Systemkonkurrenz.