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Blockupy : Polizei gerät nach Einsatz in Erklärungsnot

  • Aktualisiert am

Kritik bis in die eigenen Reihen: die Polizei zieht Bilanz ihres „Blockupy“-Einsatzes Bild: dpa

Mehr als hundert verletzte Demonstranten, rund 20 verletzte Beamte - und ein Polizeieinsatz, der sogar in den eigenen Reihen äußerst kritisch gesehen wird: Die Bilanz nach der Auflösung der „Blockupy“-Demonstration fällt kritisch aus.

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          Es war gegen Samstag Mittag, als die Polizei die bis dahin friedliche Demonstration noch am Anfang ihrer Route anhielt und den vorderen Teil des Zuges einkesselte. Als Begründung gab sie an, die Aktivisten, die ihrer Auffassung nach größtenteils der linksradikalen Szene angehören, hätten sich mit Regenschirmen und Sonnenbrillen vermummt und auch sonst gegen Auflagen verstoßen. Als die Verhandlungen in der Frage, ob der Block nun weiterziehen darf oder nicht, am späten Nachmittag mehr und mehr ins Stocken gerieten, beschloss die Polizei, die Versammlung aufzulösen. Zwei Hundertschaften stürmten in die Menschenmenge und zogen unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray die Demonstranten einzeln heraus.

          Während der Einsatz, der rund zwei Stunden dauerte, nachdem die Demonstranten zuvor schon stundenlang eingekesselt waren, offiziell gerechtfertigt wurde, kamen schon am Abend Zweifel am Vorgehen aus der Polizei selbst. Einige Beamte bezeichneten es als taktisch falsch, den gesamten Demonstrationszug angehalten zu haben und einen Teil ohne vorherige Ansage eingekesselt zu haben. Auch die Brutalität, mit der einige der Einsatzkräfte vorgegangen seien, können sie nicht nachvollziehen, weil es ihrer Ansicht nach keinen Grund dafür gegeben habe.

          Gegenseitige Schuldzuweisungen

          Der Frankfurter Polizeipräsident Achim Thiel hingegen hatte nur wenige Stunden nach dem Einsatz das Vorgehen der Beamten verteidigt. Er sagte, „das heute gezeigte Verhalten der Störer im Schwarzen Block“ habe der Einsatzleitung in ihrer Entscheidung, „die vermummten und gegen Auflagen verstoßenden Demonstranten anzuhalten und ihre Identität festzustellen, leider keine Wahl gelassen.“ Den Vorwurf, die Polizei habe die Separierung der Teilnehmer von langer Hand geplant, bezeichnete Thiel als „völlig aus der Luft gegriffen“. Ebenso wurde das Gerücht, man habe vor allem deshalb an die Personalien der Demonstranten gelangen wollen, um festzustellen, ob es Verbindungen zur „M31“-Demo gebe, dementiert. Am 31. März 2012 waren aus dem Schwarzen Block heraus erhebliche Sachbeschädigungen verübt worden, zudem wurde ein Polizist schwer verletzt. Dass die Aktion vom Samstag mit M31 zu tun habe, treffe nicht zu, sagte ein Sprecher. Dennoch hält sich das Gerücht hartnäckig.

          Der Kritik an dem Einsatz trat die Behörde gestern mit einer Stellungnahme entgegen. Darin betont sie nochmals, die eingekesselten Demonstranten hätten gegen Rechtsvorschriften des Versammlungsgesetzes verstoßen, weil sie sich vermummt und passive Bewaffnung in Form von Styroporschildern mit sich getragen hätten.

          Den Demonstranten sei in mehreren Gesprächen vorgeschlagen worden, weiterzuziehen, wenn sie ihre Vermummung ablegten. Darauf, heißt es von der Polizei, hätten die Aktivisten aber nicht reagiert. Stattdessen seien Beamte mit Pyrotechnik, spitzen Gegenständen, Holzlatten, Fahnenstangen, Pfefferspray, Tritten sowie Flaschen- und Farbbeutelwürfen angegriffen worden. Die Beamten hätten später Böller, selbst gebastelte Schutzschilde und mit Farbe gefüllte Glasflaschen sichergestellt. 45 Demonstranten nahmen sie wegen Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Widerstands vorläufig fest. Die Demonstranten ihrerseits beharrten gestern darauf, die Eskalation sei von den Beamten ausgegangen. Zudem beklagten sie, dass ihnen das Demonstrationsrecht genommen worden sei.

          Unterschätzter Solidarisierungseffekt

          Offenbar hat die Polizei nicht damit gerechnet, dass die rund 9000 Demonstranten außerhalb des Kessels, darunter viele Gewerkschafter und Angehörige linker Gruppierungen, nicht weiterziehen wollten, solange die vordere Gruppe festgehalten wird. Die Polizei selbst spricht mittlerweile intern von einer Fehleinschätzung. Sie habe den Solidarisierungseffekt, für den linke Gruppen eigentlich bekannt seien, verkannt. Zu diesem Zeitpunkt jedoch sei die Situation schon „statisch“ gewesen. Der Kessel war da, es gab kein Zurück. Möglicherweise, so heißt es, war das auch ein Grund mit dafür, weshalb die Beamten unverhältnismäßig hart gegen die Demonstranten vorgegangen sind - aus Frustration wegen der selbst herbeigeführten Patt-Situation.

          Die innenpolitischen Sprecher von SPD und Grünen im Hessischen Landtag, Nancy Faeser und Jürgen Frömmrich, forderten den hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) gestern auf, im Innenausschuss zu dem Polizeieinsatz Stellung zu beziehen. Es müsse geklärt werden, ob die Beamten verhältnismäßig vorgegangen seien. Der Frankfurter Sicherheitsdezernent Markus Frank (CDU) lobte hingegen die Polizei und sagte, die Einschätzung, dass Gewaltbereite an der Demonstration teilnähmen, habe sich bestätigt. Im vergangenen Jahr hatte Frank mit derselben Begründung sämtliche Veranstaltungen des Blockupy-Bündnisses verboten.

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