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Belastung für Gerichte : Verfahrensflut nach Blitzgewitter

Hochleistungsblitzer bedeuten für die Gerichte viel Arbeit.(Symbolbild) Bild: dpa

Immer mehr Autofahrer erheben Einspruch gegen verhängte Bußgelder. Das bedeutet für die Amtsgerichte viel Arbeit – deshalb suchen sie nun nach neuen Lösungen.

          3 Min.

          Die Hochleistungsblitzer, die seit 2016 in der Region auftauchen, bringen nicht nur vielen rasanten Autofahrer Ungemach. Sie führen auch zu erheblichen Belastungen der Gerichte. Die „Enforcement Trailer“ (ET) genannten Geräte sind mobil einsetzbar und können ohne Personal und dank autarker Stromversorgung 24 Stunden lang Temposünder ablichten. Auch an gefährlichen Stellen wie Autobahnen, wo das auf diese Weise bisher nicht möglich war. Dadurch können sie, je nachdem wo sie stehen, mehrere tausend Verstöße innerhalb weniger Tage dokumentieren.

          Anna-Sophia Lang
          Redakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.

          In der Folge wächst die Zahl der Einsprüche, die gegen die verhängten Bußgelder eingelegt werden – und das führt dazu, dass die zuständigen Amtsgerichte kaum mehr mit der Flut an Verfahren zurechtkommen. Ende 2018 schon hatte das Amtsgericht Bad Hersfeld, in dessen Bezirk einer der ersten Blitzer aufgestellt wurde, Alarm geschlagen. Inzwischen hat das Land Hessen aber weitere Geräte gekauft. Insgesamt stehen nun sieben zur Verfügung.

          Deutlicher Zuwachs

          Für die Richter in Bad Hersfeld bedeutete der Enforcement Trailer, dass sie statt 2200 Bußgeldverfahren pro Jahr 4200 zu bearbeiten hatten. „Da mussten wir alle mithelfen“, sagt Amtsgerichtsdirektorin Michaela Kilian-Bock. Selbst wenn ein Großteil sich erledigt, weil die meisten Autofahrer verhältnismäßig geringe Verwarnungsgelder akzeptieren oder auf Einsprüche gegen Bußgeldbescheide verzichten, landet doch noch ein beachtlicher Teil vor Gericht. Eine Richterstelle ist für 1500 Verfahren im Jahr vorgesehen – mehr als ein Richter fehlte daher, um alles nach dem üblichen Pensum abzuarbeiten.

          Auch das Amtsgericht Gelnhausen berichtet von einem „erheblichen Zuwachs“. Allein im vierten Quartal 2018, nachdem der Blitzer eine Woche im Einsatz war, gingen so viele Verfahren ein wie sonst im gesamten Jahr. Die Belastung der Richter habe sich deutlich verschoben, sagt eine Sprecherin. Solche Zustände fürchten nun auch andere Amtsgerichte, in deren Bezirken die neuen Blitzer aufgestellt worden sind.

          Zum Beispiel in Friedberg: Seit April steht hier ein Gerät ein bis zwei Wochen pro Monat an Baustellen. Bis die Verfahren bei Gericht landen, wird es zwar noch dauern, in der Regel vergehen vier bis sechs Monate. Aber einer „vorsichtigen Schätzung“ zufolge, die von 3000 geblitzten Fahrzeugen pro Woche ausgeht, könnten allein dadurch aus neun Monaten 2160 Bußgeldverfahren entstehen. Das wäre „eine ganz erhebliche Steigerung“ im Vergleich zu den Vorjahren.

          Drohender Personal-Engpass

          Am Amtsgericht Seligenstadt rechnet man mit noch drastischeren Zahlen: Hier ist der Blitzer seit wenigen Wochen im Einsatz. Die zuständige Richterin, teilt das Gericht mit, habe bereits jetzt von der Polizei die Nachricht erhalten, dass man in den ersten vier Tagen an der A3 etwa 4000 Verstöße festgehalten habe. Man rechne deshalb „mit einem erheblichen Anstieg der Fallzahlen und damit auch der Belastungen des Gerichts“. Den drohenden Personal-Engpass hat der Direktor bereits ans Landgericht Darmstadt gemeldet, aber: „In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Rekrutierung neuer Richterinnen und Richter landesweit derzeit äußerst schwierig gestaltet, besteht wenig Hoffnung, dass eine solche auch wirklich erfolgt.“

          Das Amtsgericht Wiesbaden schließlich hat spezifische Sorgen: Seit dem 1.Juli steht das Gerät an der Salzbachtalbrücke, die für Lastwagen mit einem Gewicht von mehr als 7,5 Tonnen gesperrt ist. Bis zu 220 Verstöße pro Tag habe die Polizei in den ersten Wochen festgestellt, heißt es vom Amtsgericht. Und die können für die Berufskraftfahrer schwerwiegende Konsequenzen haben. Es drohen 500 Euro Bußgeld, ein Fahrverbot und damit möglicherweise die Kündigung. Deshalb rechnet das Amtsgericht mit „intensiv geführten Bußgeldverfahren“.

          Noch eine Reihe weiterer Gerichte, darunter Frankfurt, berichtet von solchen Sorgen. Ein grundlegendes Problem ist dabei die kurze Verjährungszeit der Verfahren: Sie beträgt nur sechs Monate, also müssen im Zweifel viele Kräfte für ihre Abarbeitung gebunden werden. „Es liegt auf der Hand, dass diese Mehrarbeit zu Lasten anderer Verfahren gehen wird“, sagt ein Direktor. „Mietzahlungsklagen, Unterhaltsklagen und alles andere, was nicht bereits durch das Gesetz als dringlich zu bearbeiten erklärt wird, wird länger dauern.“

          „Fragliche“ Prioritätensetzung

          Auch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt spürt bereits die Auswirkungen der neuen Blitzer. Denn wer gegen das Urteil eines Amtsgerichts vorgehen will, muss Rechtsbeschwerde beim OLG einlegen. Präsident Roman Poseck rechnet mit einer Steigerung von 20 Prozent in diesem Jahr. Wie viele seiner Kollegen an den Amtsgerichten sieht auch er Handlungsbedarf und spricht von einer Prioritätensetzung, die „fraglich“ sei: „Das Ziel muss die Vereinfachung der Verfahren sein.“

          Aus seiner Sicht könnte man etwa darüber nachdenken, ob wirklich jedes Mal eine mündliche Verhandlung nötig ist, oder ob man die Verjährungsfrist ändert. Es gebe bereits Gespräche mit dem Justizministerium, sagt Poseck. Wobei für die Frage der Verjährung der Bund zuständig ist.

          Die Zentrale Bußgeldstelle in Kassel hat wegen der Enforcement Trailer schon vor längerer Zeit personell aufgerüstet: 18 neue Mitarbeiter wurden eingestellt und geschult. Bei den Gerichten ist das schwieriger. Immerhin sieht der Nachtragshaushalt des Landes vier zusätzliche Stellen für die „Richter Task Force“ vor. Dass dieses Format auf Dauer nicht reichen wird, ist aber unbestritten. Schon allein deshalb nicht, weil in den nächsten Jahren eine große Zahl an Richtern in Rente geht und vielerorts der Nachwuchs fehlt. Vom Justizministerium heißt es dazu, über zusätzliche Stellen werde beraten.

          Das Amtsgericht Bad Hersfeld hat schließlich eine Stelle aus der Task Force bekommen. „Es hat sich gelohnt, darauf aufmerksam zu machen“, sagt Direktorin Kilian-Bock, „die Justiz hat sich bewegt und wir sind entlastet worden.“ Die Zahl der Blitzer-Verfahren habe sich inzwischen „auf hohem Niveau stabilisiert“.

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