Becketts „Endspiel“ in Wiesbaden : Lustvoll erlittene Qual der Abhängigkeit
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Humoresk und hirnentleerend: Martin Müller und Benjamin Kiesewetter in Becketts „Endspiel“ in Wiesbaden Bild: Lena Obst
Rainer Kühn inszeniert am Hessischen Staatstheater Wiesbaden Samuel Becketts „Endspiel“. Es ist eine von aller Mehrdeutigkeit entschlackte Inszenierung.
So richtig gut ging es Nagg und Nell noch nie. Eingesperrt in zwei Mülltonnen sieht man für gewöhnlich von den beiden bedauernswerten Figuren aus Becketts „Endspiel“ nur die Köpfe, die mitunter wirkungsvoll in die Tonne gedrückt werden - Deckel zu und Ruhe. In Rainer Kühns nachgerade minimalistischer Inszenierung im Studio des Wiesbadener Staatstheaters wird den beiden nicht einmal mehr dieses bisschen Dahinvegetieren gegönnt. Hin und wieder dringen ihre Stimmen (Rainer Kühn, Ellen Schurer) noch aus den in den Boden eingelassenen Blechtonnen, rudimentäres Gestammel, geisterhaft fern.
Sehr präsent ist dagegen ihr Sohn Hamm (Martin Müller), dessen Stuhl auf einem rollenden Brett festgemacht ist, mit dem ihn sein Diener Clov (Benjamin Kiesewetter) mühsam über den groben Kies des Bühnenbodens schiebt. Das hilflose Umkreisen des winzigen Gevierts ist eine Qual, zählt aber zu den Ritualen, die diese beiden Restexistenzen brauchen, um der sinnlosen Absurdität ihres leerlaufenden Daseins eine Struktur, einen Ersatzsinn zu verleihen. Viel mehr nämlich bleibt da nicht.
Herr-Knecht-Konstellation
Unterbrochen nur durch ein paar Streitereien mit den Elternstimmen vom Band, konzentriert sich das Drama so ganz auf die Dialoge zwischen Hamm und Clov. Durch die Streichungen rückt die Herr-Knecht-Konstellation raumfüllend in den Mittelpunkt des Stücks. Die Qual der gegenseitigen Abhängigkeit wird bis an die Schmerzgrenze vorgeführt. Hier der blinde Hamm mit seiner Trillerpfeife und der Verfügungsgewalt über den Haushalt, in dem es freilich längst nichts mehr zu essen und zu verfügen gibt. Da der steifbeinige, zum dauernden Herumgehen gezwungene Leibeigene Clov, den eine unsichtbare Kette festhält, die mehr von seiner devoten Disposition herrührt als von dem Umstand, dass die ganze Welt auf diesen Raum zusammengeschnurrt ist und darüber hinaus nichts mehr existiert.
Als 1957 Samuel Becketts „Endspiel“ uraufgeführt wurde, lag die Assoziation durch eine vom Atomkrieg verwüstete Welt nahe. Doch schon damals wies Beckett weit über solche Konkretion hinaus ins Metaphorische, ja ins Metaphysische, und wer will, kann in jedem der gesprochenen Sätze eine Vielzahl von Bedeutungen erkennen, alles als Bild für eine soziale, religiöse, ökologische, atomare Katastrophe verstehen. Wie die Romane Kafkas sind Becketts Dramen genial komponierte Projektionsflächen, auf ihrer schillernden Oberfläche spiegelt sich der Zeitgeist.
Existentieller Lebenszeitvertreib
Diesen Umstand macht sich Rainer Kühns von aller Mehrdeutigkeit entschlackte Inszenierung zunutze und verweigert konsequent alle über die pure Bühnenwirklichkeit hinausdeutenden Verweise. In unserer ebenso postmodernen wie postmetaphysischen Gegenwart steht das reine Spiel, andeutungshalber durchaus als existentieller Lebenszeitvertreib, im Mittelpunkt. Der zutiefst schwarze Humor und die Bittergalligkeit der Dialoge treten so plastisch hervor. Das andauernde Glucksen und das mitunter verstörend laute Auflachen im Publikum deuten darauf hin, wie sehr der Schauspieler Rainer Kühn diesen Beckett-Abend als Schauspieler-Fest inszeniert hat.
Dass er dabei zwei junge Schauspielkollegen aus dem Ensemble mit den Hauptrollen bedachte, nahm dem Abend zusätzlich die ihm sonst innewohnende tiefgründelnde Endzeitschwermut. Martin Müllers Hamm ist kein alter Patriarch, eher ein Parvenü, dem nur noch das abgelegte Gestenrepertoire einer Vorvergangenheit zur Verfügung steht. Benjamin Kiesewetters geradezu juveniler Clov ist wie in einem um ihn herum steif gewordenen Körper gefangen, ein Sklave seiner lustvoll erlittenen Abhängigkeit. Und sie spielen miteinander, weil es eben außer dem Spielen und dem Sich-Quälen und Nichts-Bedeuten noch nicht einmal mehr das Gegenteil davon gibt.
Ein wenig ist das aber dann doch auch eine Falle, die Kühn nicht ganz umgehen kann. Eine Stunde und 40 Minuten vergehen langsam, wenn da nichts Schockierendes mehr verhandelt wird, wenn die Metaphern für nichts stehen, wenn das nichtssagende Bühnenbild partout nichts sagen mag und wenn die Struktur der Späße nach 20 Minuten ohne Steigerung bleibt und nur noch durchvariiert wird. So wird aus dem „Endspiel“ schließlich eine meditative Humoreske, die man mit gänzlich geleertem Hirn verlässt.