Bahnlärm : Verärgerung im Rheintal über Brüssel
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Die Bremsen sollen leiser werden: 180.000 Güterwagen sollen auf lärmarme Kunststoffbremsen umgerüstet werden. Bild: dpa
Diese Nachricht kam unerwartet: Die Verkehrskommissarin der EU verlangt eine gesamteuropäische Lösung beim Bahnlärm, aber erst 2022. Das Mittelrheintal ist in Aufruhr.
Eine unerwartete Nachricht aus Brüssel hat Kommunalpolitiker und die Initiativen zur Bekämpfung des Bahnlärms im Rheintal in Aufregung versetzt: EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat nach Zeitungsberichten die Bundesrepublik Deutschland gemahnt, bei möglichen Beschränkungen des Bahnverkehrs zum Schutz der Bürger vor unzumutbaren Lärmbelastungen nicht isoliert vorzupreschen, sondern auf eine gesamteuropäische Lösung nach 2022 zu warten. Dann werde es einheitliche Lärmgrenzwerte geben. Wie berichtet, will Berlin nach gegenwärtigem Stand durchsetzen, dass schon bis 2020 die 180.000 Güterwagen im deutschen Schienennetz auf lärmarme Kunststoffbremsen umgerüstet sind, die das Laufgeräusch deutlich minimieren. Für weiterhin laute Güterzüge soll danach ein Fahrverbot gelten.
Karl Ottes (FWG), Kreisbeigeordneter und Sprecher des Rheingau-Bundes gegen Bahnlärm, sieht in dem Vorstoß aus Brüssel eine „neue Hiobsbotschaft für die geplagten Bahnanlieger“. Sollte das von den Koalitionsparteien in Berlin vereinbarte Ziel eines Fahrverbots nach 2020 für laute Züge nun doch nicht kommen, verliere die Politik ihre Glaubwürdigkeit, sagt Ottes. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse das Thema Lärmschutz zur Chefsache machen und sich endlich einmal persönlich ein Bild von der Situation im Rheintal verschaffen. Bislang habe Dobrindt aber noch keine der ausgesprochenen Einladungen angenommen. Ottes hat auch den Eindruck, dass „die Bahn ihren Weg ohne Rücksicht auf die geplagten Anwohner geht“. Alle Investitionen dienten nur dem Zweck, noch mehr Verkehr noch schneller auf der Rheintalschiene fahren zu lassen.
Nationaler Alleingang bei Bahnlärm legitim
Der Europaabgeordnete Norbert Neuser (SPD) hat Ottes allerdings auf dessen Hinweis zugesagt, eine entsprechende Anfrage an die EU-Kommission zu stellen. Neuser bewertet den Brief der EU-Kommissarin für Verkehr als Versuch, „Deutschland auszubremsen“. Es sei für Deutschland aber weiterhin rechtlich möglich und im Einklang mit Brüssel auch legitim, Beschränkungen wie Nachtfahrverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen im Mittelrheintal im nationalen Alleingang durchzusetzen.
Der Vorstand des kommunalen Zweckverbands Welterbe Oberes Mittelrheintal fordert unterdessen mit Nachdruck, am Ziel der „Halbierung des Bahnlärms bis 2020“ festzuhalten. Im Frühsommer hatte der Zweckverband das Bundesverkehrsministerium aufgefordert, die Umrüstung der Güterwaggons schneller als bisher geplant verbindlich zu vollenden. Eine Aufweichung der vereinbarten „Minimalziels“ komme nicht in Frage, sagt Verbandsvorsteher Frank Puchtler (SPD), Landrat des Rhein-Lahn-Kreises.
„Schlag ins Gesicht“ für Tourismusbranche
Gleichzeitig fordert der Zweckverband den Bund abermals auf, den Neubau einer Alternativtrasse für den Güterverkehr in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen. Nur eine Neubaustrecke könne eine echte und dauerhafte Entlastung für die Menschen im Rheintal bringen. Nach der Eröffnung des Gotthardbasistunnels in der Schweiz sei mit einer erheblichen Zunahme des Bahn-Güterverkehrs zu rechnen.
Willi Pusch, Sprecher der Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn, wertet den Brüsseler Vorschlag als „Schlag ins Gesicht der von Bahnlärm betroffenen Menschen“ und der Tourismusbranche im Rheintal. Er erklärt sich den Vorstoß der „unerfahrenen“ Kommissarin aus Slowenien mit „Profilierungsdruck“. Die Kommissarin habe offenbar unter dem Einfluss der Lobby der Wagenhalter eine Entscheidung getroffen, ohne die Lärm- und Erschütterungssituation im Rheintal zu kennen. Das sei nicht akzeptabel. Pusch fordert Verkehrsminister Dobrindt und die Bundestagsabgeordneten auf, am Berliner Koalitionsvertrag festzuhalten, der die Umrüstung von 50 Prozent aller alten Waggons bis Ende 2016 vorsehe. Ansonsten müssten die Wagenhalter mit Tempolimits und Fahrverboten für laute Züge rechnen. Es bleibe das Ziel, alle Schienengüterwaggons in Deutschland bis 2020 mit den lärmarmen Bremsen auszurüsten.
Frank Gross vom Bürgernetzwerk Pro Rheintal sieht durch den Vorstoß der seit November vergangenen Jahres amtierenden Bulc die Bürgerinitiativen „bundesweit alarmiert und auf dem Kriegspfad“. Im Hinblick auf den Bahnlärm sei die EU „vollkommen ahnungslos und ohne fachliche Kompetenz“. Gross kündigt eine Protestnote an die EU-Kommission an und bekräftigt die Forderung nach einem Fahrverbot für laute Güterwaggons von 2020 an. Es gebe schon heute „keinen vernünftigen Grund“, sich mit der Umrüstung noch fünf Jahre Zeit zu lassen.