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Unzerstörte Erinnerung : So sah Frankfurt vor dem Weltkrieg aus

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Es ist ein Blick in die Moderne und in die Vergangenheit: Die Bilder der Agentur „Dr Paul Wolff & Tritschler“ lassen ein vergangenes Frankfurt wieder aufleben.

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          Eine Sensation muss man das nicht gleich nennen. Immerhin ist Paul Wolff wenigstens in Frankfurt nicht ganz und gar vergessen. Dort konnte man Aufnahmen des 1887 im elsässischen Mühlhausen geborenen Fotografen etwa in der Wanderausstellung zum 100. Geburtstag der legendären Leica ebenso entdecken wie in der bislang letzten Einzelausstellung im ehemaligen Hauptzollamt vor nun bald 20 Jahren. Und zuletzt erwiesen sich die in den zwanziger Jahren auf Initiative des „Altstadtvaters“ Fried Lübbecke entstandenen Fotografien von Dom und Römer oder dem „Haus der Tante Melber“ im Zuge der Rekonstruktion der im Krieg völlig zerstörten Altstadt auch architekturhistorisch als von unschätzbarem Wert.

          Eine Entdeckung aber darf, ja muss man die nach Wolffs in den zwanziger Jahren mit seinem Partner Alfred Tritschler gegründeter Fotoagentur „Dr. Paul Wolff & Tritschler“ überschriebene Schau in Wetzlar dennoch nennen. Sicher, die Firma Leica hat sein facettenreiches Werk auch in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder wenigstens in Teilen vorgestellt, zuletzt etwa 2001 mit einer Schau zu seinem 50. Todestag in New York. Freilich nicht in dieser Breite. Dabei gehörte er fraglos zu den Pionieren der Kleinbildfotografie. Seit der Autodidakt bei der Internationalen Fotoausstellung in Frankfurt seine erste Leica gewonnen hatte, wollte er von seinem im Vergleich zur bis dahin üblichen Plattenkamera ungemein praktischen, schnell und beweglich einsetzbaren Fotoapparat nicht mehr lassen.

          „Seit dieser Zeit“, erinnerte sich Wolff in den dreißiger Jahren, „gehört meine ganze Neigung dem großen Leben, der unbegrenzten Weite der Welt, all dem, was die Kleinkamera einzufangen berufen ist.“ Und das, so hatten Wolff und sein 1927 aufgrund eines Inserats dazugestoßener Kompagnon ganz offensichtlich rasch erkannt, war eine ganze Menge. Was womöglich auch erklären kann, dass Dr. Wolff & Tritschler zwar äußerst produktiv und in den zeitgenössischen Medien ungeheuer präsent waren, als Wegbereiter der Fotokunst indes nie die rechte Anerkennung gefunden haben. Als Lichtbildner waren sie erklärtermaßen Dienstleister, nicht Künstler. Und dabei nicht immer wählerisch.

          Sie fotografierten für die Stadt Frankfurt geradeso wie für die Industrie, setzten das Neue Frankfurt Ernst Mays ebenso ins rechte Licht, wie sie die neue Reichsautobahn dokumentierten, die Olympischen Spiele in Berlin oder den Reichsparteitag und lieferten keineswegs zuletzt „im Auftrag des Führers“ Aufnahmen der deutschen Rüstungsindustrie. All das kann die mit rund 300 vorwiegend aus Privatsammlungen stammenden Leihgaben hochkarätig bestückte Retrospektive mit Vintages in durchweg exzellentem Zustand zeigen. Erweist sich doch vor allem Wolff als durchaus experimentierfreudig. Und geschäftstüchtig.

          Dabei setzt die Ausstellung im neuen Ernst Leitz Museum für Fotografie und Fototechnik zunächst mit Wolffs frühen, um 1914 noch mit der Plattenkamera gemachten und als Reproduktionen in Mezzotinto ausgeführten Aufnahmen aus Straßburg ein. Erst in Frankfurt aber, wo er sich 1919 niederlässt, konzentriert sich der studierte Mediziner ganz auf die Fotografie und stürzen sich Wolff und ab Mitte der zwanziger Jahre seine junge, bis zu 20 Angestellte beschäftigende Firma zusehends auf und in die bald alle Lebensbereiche erfassende Moderne. „Er liebte die Leichtigkeit des Seins, schöne Frauen, Reisen, die Schönheit der Natur“, so Museumsleiter Reiner Packeiser. Und in der Tat, auch das lässt sich nun in Wetzlar schwerlich übersehen.

          Vor allem aber, so zeigt die von Hans-Michael Koetzle kuratierte Schau, beobachtete Wolff aufmerksam, wie sich unter dem Einfluss der Avantgarden das Sehen radikal veränderte. Diesen Wandel griff er im eigenen Schaffen bald begierig auf. Während die Aufnahmen der von Martin Elsaesser errichteten Großmarkthalle oder der Blick auf den „Verkehr von oben bei Regen“ sichtlich unter dem Eindruck des Neuen Sehens entstanden sind, die Produktfotografie – die Hemdkragen der Firma „Dornbusch“ etwa oder die um 1929 entstandenen „Gabeln mit ihren Schatten“ – virtuos an den neusachlichen Stil anknüpft, verweisen die herrlichen Pflanzenstudien wie der „Aronstab“, „Hiba“ oder der „Wacholder“ auf die Bildsprache von Albert Renger-Patzsch. Wolffs Blick auf seine Zeit und insbesondere auf die Moderne, so zeigt die Ausstellung, ist auf der Höhe der Zeit. Eine Entdeckung also. Unbedingt.

          Austellung

          Die Ausstellung im Ernst Leitz Museum Wetzlar, Am Leitz-Park 6, ist bis 26. Januar 2020 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog kostet 70 Euro.

           

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