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Auftakt der Mittelalter-Saison : Marder am Hals, Met im Sinn

Schwungvoll: Ein Trommler von „Koboldix“ macht sich locker

Schwungvoll: Ein Trommler von „Koboldix“ macht sich locker Bild: F.A.Z.

Am Zelt der Erzählerin gehen Schwertträger und in Leder gekleidete Frauen mit Marderfellen am Hals vorbei. Bruder Tuck und Dschingis Khans Schwester sind auch zugegen: Auftakt zur Mittelaltermarkt-Saison.

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          Walburga lässt sich so einiges einfallen, um kleine und große Gäste in ihr Zelt zu locken. Die Frau mit den grauen Haaren, die sie über der Stirn rostbraun eingefärbt hat, wartet nicht, bis sie gefragt wird - sie geht freundlich auf jene zu, die neugierig einen Blick in ihre mit bunten Kissen und Flickenteppichen ausgelegte Behausung aus hellem Leinen werfen. Sie verteilt hübsche Kärtchen, verspricht gute Geschichten für geringes Geld. Einen Taler je Nase möchte Walburga, die ein Kleid aus dunkelblau-grünem Schottenkaro trägt und sich mit einer Kette mit Steinen und Glasperlen schmückt. So viel oder wenig verlangt auch der junge Mann ein paar Meter weiter für ein Glas türkischen Tee in seinem Zelt oder für einen Happen Baklava. Doch blickt er eher düster in die Welt und bewirbt seine günstige Offerte obendrein nur mit einem Schild, obwohl die Konkurrenz groß ist auf dem ersten Mittelaltermarkt der Saison mitten in Hessen.

          Thorsten Winter
          Korrespondent der Rhein-Main-Zeitung für Mittelhessen und die Wetterau.

          Also Walburga: Wer sich an diesem Samstag im Schatten der historischen Klosteranlage Schiffenberg vor den Toren Gießens für ihr Angebot entscheidet, muss es nicht bereuen. Er bekommt für seinen Taler, den Zeitgenossen nüchtern Euro nennen, Labsal fürs Gemüt. Die Frau mit der warmen Stimme vermittelt rasch Geborgenheit: „Meine Name bedeutet so viel wie wehrhafte Burg“, sagt die Potsdamerin, während draußen Schwertträger und in schwarzes Leder gekleidete Frauen mit Marderfellen am Hals vorbeigehen; Wanderhuren womöglich. Bruder Tuck und Dschingis Khans Schwester sind auch zugegen.

          Schneewittchen und der Hotdog

          Während nebenan eine Falknerin lauthals für ihre Aufführung wirbt, berichtet die 50 Jahre alte Geschichtenerzählerin von einer Königstochter mit Haaren so blond wie Stroh, mit Lippen so rot wie Blut und einer Haut, die so weiß ist wie Schnee, die bei ihrer Stiefmutter nicht gut gelitten ist. Zugegeben, die Geschichte ist nicht neu. Vielleicht peppt Walburga vor dem Knirps-Quartett, das mit den Eltern im Schlepptau in ihr Zelt gekommen ist, gerade deshalb ihre Erzählung um ein paar so gar nicht mittelalterliche Details auf. So fliegt dem Schneewittchen am Ende nicht ein Stück vergifteter Apfel aus dem Mund, sondern etwas Hotdog. Doch wen kümmert schon Werktreue, wenn der Gag unvermittelt kommt und sitzt?

          Dann hat der Prinz das Schneewittchen zur Gemahlin genommen, und die Stiefmutter hat sich in Luft aufgelöst. Was nun? Auf zum Hexenprozess? Den Dudelsackspielern und Trommlern lauschen? Zwischen Parfümsteinchen, Lederzeugs vom Italiener oder Seidenstirnbändchen von der Händlerin aus Estland stöbern? Oder doch Labsal für den weltlichen Körper? Ob Met oder Bier, Apfelringe oder dick belegte Teigfladen vom Schotten: Das Angebot ist groß, wobei die Preise für Speis’ und Trank so gar nicht mittelalterlich sind.

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