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ADHS bei Erwachsenen : Vom Zappelphilipp zum Fall für die Polizei

Trügerische Hilfe: Für viele Menschen, die unter ADHS leiden, sind Tabletten mit dem Wirkstoff Ritalin die einzige Möglichkeit, sich zu konzentrieren. Bild: dpa

Nicht nur Kinder, auch Erwachsene können unter ADHS leiden. Oft bekommen sie deshalb Schwierigkeiten im Leben. Um ihnen zu helfen, sind aufwendige Untersuchungen nötig.

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          An dem Tag, an dem sein Kartenhaus in sich zusammenbrach und die Polizei vor seiner Tür stand, beschloss Kai Klose zu sterben. Sein Versuch, sich zu töten, schlug fehl. Klose, der eigentlich anders heißt, kam in eine psychiatrische Klinik. Wie denn das Leben, das er nicht mehr wollte, bisher verlaufen sei, fragten ihn dort die Therapeuten. „Chaotisch“, antwortete Klose.

          Marie Lisa Kehler
          Stellvertretende Ressortleiterin des Regionalteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

          In der Schule sei er stets der gewesen, der aus der Reihe getanzt sei. Wer hat gestört? Kai war’s. Wer ist auf dem Schulhof ausgetickt? Kai war’s. Wer ist im Unterricht eingeschlafen? Kai war’s. „Ich war entweder total gelangweilt, oder ich wollte alles auf einmal“, erinnert er sich. In der zweiten Klasse stellten die Ärzte bei ihm das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsyndrom (ADHS) fest.

          Mit Ritalin schien alles besser zu werden

          Dagegen gab es Tabletten. Methylphenidat. Der Wirkstoff ist auch als Ritalin bekannt. Für Klose damals die einzige Möglichkeit, sich im Unterricht zu konzentrieren. Mit den Tabletten schien alles besser zu werden. Wer schaffte die Schule? Kai. Wer beendete die Ausbildung mit Einserschnitt? Kai. Und wer glaubte schließlich, er müsse die Tabletten nicht mehr einnehmen? Kai. Ein Fehler, wie er heute weiß. Denn Klose, mittlerweile 28 Jahre alt, leidet noch immer unter ADHS.

          Zwei Drittel der Patienten, die schon als Kind eine ADHS-Diagnose bekamen, zeigen auch im Erwachsenenalter noch Symptome. Manche mehr, mache weniger ausgeprägt. Das sagt Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum. Er forscht zum Thema ADHS bei Erwachsenen. „Wir wissen noch nicht, welche Kinder gesund werden und welche mehr oder weniger krank bleiben.“

          ADHS-Patienten hinter ihren Möglichkeiten

          Was Reif allerdings weiß: „Die Mehrzahl der ADHS-Patienten bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück.“ Sie seien manchmal impulsiver, risikobereiter, sprunghaft in ihren Entscheidungen, leicht zu begeistern und gleichzeitig schwer zu motivieren. Oft falle es ihnen schwer, Zeiten und Absprachen einzuhalten, den Alltag zu strukturieren. Viele seien frustriert, weil sie gesteckte Ziele nicht erreicht hätten, und sie seien es leid, immer wieder anzuecken.

          Diese gehäuften Negativ-Erfahrungen könnten dazu beitragen, dass die Patienten häufiger unter Suchterkrankungen, Suizidgedanken und Depressionen litten, so Reif. Oft seien ADHS-Kranke wegen dieser Leiden in Behandlung; die eigentliche Ursache bleibe aber unentdeckt.

          ADHS-Sprechstunde für Erwachsene

          Seit zwei Jahren wird an der Frankfurter Universitätsklinik eine ADHS-Sprechstunde für Erwachsene angeboten. Die Termine sind auf Monate hinweg ausgebucht. Es kommen Menschen, die bereits in ihrer Kindheit eine Diagnose erhalten, die Behandlung aber irgendwann abgebrochen haben. Aber auch Eltern, deren Kinder sich in einer ADHS-Behandlung befinden und die nun auch bei sich Symptome entdecken. Reif sagt: „Ich sehe hier oft Menschen mit gebrochenen Biographien.“ Menschen, die immer wieder ihren Arbeitgeber gewechselt, Beziehungen beendet, viele Dinge angefangen, wenige zu Ende gebracht haben.

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