Streit in Hessen : Wer zahlt für die Biblis-Abschaltung?
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Juristische Untiefen: die Biblis-Kühltürme Bild: F1online
Der Streit um die Stilllegung des hessischen Atommeilers wird Politik und Gerichte wohl noch lange beschäftigen. Ein Gutachten lässt die Rolle des Ministerpräsidenten in neuem Licht erscheinen.
Knapp 900 Millionen Euro fordern die Energiekonzerne RWE, Eon und EnBW von Bund und Ländern an Schadenersatz wegen des vor vier Jahren angeordneten Ausstiegs aus der Atomkraft. Allein 235 Millionen Euro davon entfallen auf Ansprüche des RWE-Konzerns. Der Betreiber des südhessischen Kernkraftwerks Biblis hatte 2011 vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) gegen die nach der Katastrophe von Fukushima beschlossene, zunächst nur vorübergehende Stilllegung der ältesten deutschen Kernkraftwerke geklagt. Dass dieses Moratorium im Falle Biblis rechtswidrig verwirklicht worden ist, stellte das Bundesverwaltungsgericht Anfang vergangenen Jahres in letzter Instanz fest.
Ob sich aus dieser Tatsache allerdings Regressansprüche des Betreiberkonzerns ableiten lassen, muss in einem gesonderten Prozess festgestellt werden. Sollten die Gerichte einen Schadenersatz anerkennen, würde sich am Ende auch die Frage stellen, wer finanziell in die Pflicht zu nehmen wäre: das Land Hessen oder der Bund. Die von CDU und Grünen gestellte Regierung in Wiesbaden hält die Klage gegen das Land für unbegründet.
Hendricks widersprach
Ein nun vorgestelltes, von der CDU in Auftrag gegebenes Gutachten kommt überdies zu dem Ergebnis, ein Schreiben von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) an den damaligen RWE-Chef Großmann vom Juni 2011 ändere nichts an der Einschätzung.
Hessen habe mit der Biblis-Stilllegung im März 2011 auf Anweisung des Bundes gehandelt, so lautet die Position in Wiesbaden. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat dieser Auffassung allerdings in der vergangenen Woche widersprochen und klargemacht, dass sie die Schadenersatzforderungen von RWE nicht nur für nicht fundiert, sondern die Klage zumindest gegen den Bund auch für unzulässig halte.
Es habe zu keiner Zeit rechtlich relevantes Handeln des Bundes gegenüber RWE gegeben, Fehler seien allenfalls von der hessischen Landesregierung begangen worden. Im Streit um die politische Verantwortung steht somit Aussage gegen Aussage, Bund gegen Land.
Ausschuss soll Klarheit bringen
In Wiesbaden beschäftigt sich seit zehn Monaten ein Untersuchungsausschuss mit den Hintergründen der rechtswidrigen Stilllegung von Biblis, den Folgen und Zuständigkeiten. Nach dem Reaktorunglück in Japan waren im März 2011 die ältesten Atomkraftwerke Deutschlands binnen weniger Tage auf Betreiben des Bundes vom Netz gegangen. Hessen hatte bei der Stilllegung, wie alle anderen betroffenen Bundesländer auch, bewusst auf eine Anhörung der Kraftwerksbetreiber verzichtet und rechtfertigt das mit einer eindeutigen Weisung aus Berlin, die dem Land keinen Ermessensspielraum gelassen habe.
In den Blickpunkt gerückt ist nach einem Bericht des ARD-Magazins „Monitor“ ein den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss schon seit Monaten bekannter Briefwechsel zwischen Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und dem früheren RWE-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Großmann vom Juni 2011. Darin bat Großmann, nach eigener Darstellung in Absprache mit dem damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), Bouffier um einen „schriftlichen Bescheid“, dass das Land ein mögliches Wiederanfahren des Biblis-Blocks B nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums verhindern werde. „Wann können wir mit diesem Schreiben rechnen?“, fragte Großmann.
Brief sei juristische Grundlage für Klage
Bouffier antwortete eine Woche später, dass er davon ausgehe, dass RWE den Biblis-Reaktor nicht wieder aktivieren werde. „Sollte meine Einschätzung nicht den Tatsachen entsprechen und Sie ein Wiederanfahren von Biblis B in Erwägung ziehen, darf ich Sie vorsorglich darauf hinweisen, dass die hessische Atomaufsicht auch im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit als übergeordnete Behörde dagegen vorgehen wird.“
Die Opposition im Landtag wirft Bouffier vor, er habe dem Energiekonzern mit dem Brief erst die juristische Grundlage für eine Millionenklage geliefert. Dank der schriftlichen Drohung Bouffiers könne RWE nun argumentieren, es sei so viel politischer Druck ausgeübt worden, dass man Biblis Mitte Juni 2011 nicht wieder habe anfahren können.