Armutsmigranten in Frankfurt : Auf der Platte wird es eng
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Unterschlupf: In der B-Ebene der Hauptwache in Frankfurt übernachten fast ausschließlich obdachlose Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien Bild: Fricke, Helmut
Immer mehr Rumänen und Bulgaren leben auf Frankfurts Straßen. In der B-Ebene der Hauptwache schlafen fast nur noch Südosteuropäer. Viele deutsche Obdachlose müssen sich neue Plätze suchen. Nun reagiert die Stadt.
Um halb elf wird es laut. Die Bahntunnel verschlucken gerade die letzten Weihnachtseinkäufer, als mehrere Frauen und Männer, die eben noch ihre Matratzen und Decken herbeigeschafft haben, anfangen, vor sich hin zu schimpfen. Der Groll richtet sich gegen einen jungen Mann, einen Rumänen, der sonst immer in der B-Ebene der Hauptwache schläft, wie er sagt. In dieser Nacht jedoch ist er nicht willkommen, weil er sich nicht an die Regeln hält. Eine ältere Frau packt ihn am Arm und drängt ihn aus dem Schlafabschnitt heraus, vorbei am Absperrband die Treppe hoch, bis der Mann schließlich unter freiem Himmel steht. Als die Frau gegangen ist, zündet er sich eine Zigarette an. Minutenlang steht er rauchend auf dem Plateau. Als er von einer Passantin gefragt wird, warum er dort oben in der Kälte stehe und nicht unten im Warmen, sagt er bloß: „Probleme.“
Der junge Rumäne ist nicht der einzige, dem der Schlafplatz offenbar verwehrt wird. Nur wenige Meter weiter, wo die ersten Weihnachtsmarktbuden stehen, sitzt ein junger Slowake mit seinem Vater auf einer Bank. Ein altes Akkordeon steht neben ihnen auf dem Boden. Sie trinken Wodka aus Pappbechern. Der Sohn schenkt dem Vater großzügig nach. Dort unten? Nein, da gehe er nicht hin. „Zu viele Rumänen.“ Einmal sei er dort gewesen, sie hätten auf ihn eingeredet, er habe sie aber nicht verstanden. Er sagt, er habe für seinen Vater eine Decke, für die Nacht. Sie schlafen wenig. Aber wenn, dann lieber oben auf der Bank.
Fast immer dieselben Bedürftigen
Dass es ein „Oben“ und ein „Unten“ gibt, einen guten und einen schlechten Ort zum Schlafen, das ist neu. Als vor Jahren die B-Ebene für die Obdachlosen geöffnet wurde, um ihnen im Winter einen Platz anzubieten, kamen fast immer dieselben Bedürftigen, die seit Jahren schon in der Innenstadt lebten. Inzwischen bleiben viele von ihnen weg. Manche übernachten nun im Freien, andere kommen in Notunterkünften unter. An diesem Dienstagabend sind es fast ausschließlich Rumänen, die in der B-Ebene ihr Lager errichten. Die Behörden zählen, dass in dieser Nacht 76 Männer und Frauen dort übernachtet haben, nur 13 von ihnen sind heimische Obdachlose, 63 stammen aus Osteuropa.
Einige von ihnen sind den Behörden bereits bekannt, weil sie zur organisierten Bettlerszene gehören. So etwa eine junge Frau, die gegen Mitternacht ins Lager kommt. Sie ist weit über zwanzig, sieht aber aus wie ein Teenager. Nach Erkenntnissen der Behörden ist sie eine „Gutverdienerin“ in der Gruppe. Am nächsten Tag sieht man sie gebückt vor einem großen Kaufhaus an der Zeil sitzen. Den Oberkörper wiegt sie vor und zurück. Der Becher vor ihr ist gut mit Münzen gefüllt.
Ebenso gut organisiert wie die Bettelei soll mittlerweile auch die Vergabe der Schlafplätze sein. Zunächst waren es Gerüchte, inzwischen wissen die Behörden, dass es „Anweiser“ gibt. Männer, die selbst nicht dort nächtigen, aber jeden Abend in die B-Ebene kommen und bestimmen, wer dort schlafen darf und wer nicht. Es gibt sogar Berichte von Ordnungshütern und Sozialarbeitern, wonach pro Schlafplatz abkassiert werde.
Ein gewisser Verdrängungseffekt sei nicht zu übersehen, sagt Elfi Ilgmann-Weiß. Sie koordiniert die Fahrten des Kältebusses des Frankfurter Verbandes, der nachts zu den Schlafstätten der Obdachlosen aufbricht. Schon länger beobachte sie, dass manche Obdachlose sich neue Orte suchen müssten, weil sie es nicht aushielten, in so großen Gruppen zu übernachten, wie es in der B-Ebene mittlerweile der Fall sei. Während die Neuankömmlinge aus Bulgarien und Rumänien meist in Gruppen und Familienverbänden unterwegs seien, lebten die Deutschen eher als Einzelgänger auf der Straße. Sicherheitsdezernent Markus Frank (CDU) sagt, es dürfe nicht sein, dass eine Art „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ unter den Obdachlosen entstehe und die eine Gruppe bestimme, wer dort nächtigen dürfe und wer nicht. Nur, weil diese Gruppe in der Überzahl sei.
Gestern hat sich nun die Arbeitsgruppe des Magistrats zur Armutseinwanderung mit dem Thema B-Ebene befasst. Ein Ergebnis ist, dass Stadt- und Landespolizei dabei helfen sollen, die Lage zu stabilisieren. Deutsche und eingewanderte Obdachlose sollen besser voneinander getrennt werden, um Konflikte zu vermeiden.
Sicherheitsdienst personell verdoppelt
Die VGF selbst hatte das Ordnungsamt um Hilfe gebeten, weil die Situation für die eigenen Sicherheitskräfte „zu heikel“ wurde. Auch, dass der von der VGF beauftragte Sicherheitsdienst personell verdoppelt wurde, hat offenbar nicht geholfen.
Das Sozialdezernat hat zugesagt, mehr Dolmetscher in die B-Ebene zu schicken. Sie sollen den Einwanderern die Regeln näherbringen, unter denen sie dort eine sichere Zuflucht finden. Zudem hat Stadträtin Daniela Birkenfeld (CDU) angeboten, die Sicherheitsleute speziell schulen zu lassen, um sie besser auf die Situation in dem Schlaflager vorzubereiten.
Die Linkspartei im Römer fordert mehr Anstrengungen der Stadt, um die Obdachlosen unterzubringen. Die zunehmende Zahl von Flüchtlingen aus Rumänien und Bulgarien überfordere die bestehenden Angebote und führe zu Konkurrenz unter den Obdachlosengruppen, sagt Dominike Pauli, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion. Die Übernachtungsstätte in der B-Ebene der Hauptwache sei für diejenigen geschaffen worden, die wegen psychischer Probleme nicht in der Lage seien, in einem Wohnheim zu übernachten. „Diese Menschen ziehen sich verstärkt auf Schlafplätze in der Innenstadt zurück, was lebensbedrohliche Folgen haben wird.“
Daran, die B-Ebene nachts für Obdachlose zu schließen, denkt aber niemand. „Wir wollen die B-Ebene als Schutzort erhalten“, sagt Birkenfelds Sprecherin. „Unser Ziel ist, dass kein Mensch auf Frankfurts Straßen erfriert.“