Andreas Dietzel im Porträt : Spitzenjurist mit Sinn für die Sprache
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Bildungsbürgerlicher Hintergrund:Andreas Dietzel vor einem Foto, das in der Anwaltskanzlei den Bibliothekssaal der Abtei Ottobeuren in Oberschwaben zeigt. Bild: Fricke, Helmut
Andreas Dietzel ist Deutschlandchef der internationalen Großkanzlei Clifford Chance. Eine Karriere, die im Breisgau begann und in der Stadt Goethes ans Ziel gelangt ist.
Ein kurzer Anruf, die Sekretärin bringt eine Klarsichthülle. Darin steckt ein verflecktes Heftchen, Frakturschrift. „Ist das nicht phantastisch“, fragt der sonst eher zurückhaltend agierende Mann begeistert und schlägt vorsichtig die mürben, vergilbten Seiten um. Er liest, mit wachsendem Vergnügen, aus einer Frankfurter Kleiderordnung des achtzehnten Jahrhunderts vor.
Andreas Dietzel selbst trägt an diesem Nachmittag Business-Grau, passend zu den Haaren. Der Deutschlandchef der internationalen Großkanzlei Clifford Chance ist leidenschaftlicher Sammler alter Bücher und Schriften. Das ist kein Hobby, das sich der Managing Partner für rund 350 Anwälte in Deutschland und damit einer der einflussreichsten Wirtschaftsanwälte des Landes als kulturelles Accessoire eines Erfolgsmenschen zugelegt hätte. Das erste Stück des mittlerweile auf mehr als 1000 Exemplare angewachsenen Bestandes ersteigerte er als Zwölfjähriger: Eine alte Zeitung seiner Heimatstadt Freiburg.
Geschichte ist mehr als der Fundus vergangener Zeiten
Geschichte ist für den Dreiundfünfzigjährigen weit mehr als der Fundus vergangener Zeiten. Wie sehr sie prägt, ahnte er schon früh. Mit achtzehn stöberte er im Familienarchiv, um sich klarzuwerden, von wem er abstamme. Der Drang, möglichst selbstbestimmt leben und arbeiten zu können, liege ihm im Blut, dessen ist er sich heute sicher. Beide Großväter schlugen kaufmännische Laufbahnen ein. Den einen führte es an die Spitze einer Daimler-Benz-Abteilung, der andere leitete später eine Leimfabrik.
Dann zieht Dietzel noch ein Dossier aus seiner Tasche. Es enthält eine Monatskarte für die Straßenbahn aus dem Jahr 1907. Und das Schwarzweißfoto eines Mannes, der über dem Stehkragen einen gepflegten Bart trägt. Dokumente, die belegen, dass beide Großväter einen Teil der Lehrjahre Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Frankfurt verbrachten - ohne sich zu kennen.
„Ich war schon früh eine Leseratte“
Es kann mithin kein reiner Zufall sein, dass der Anwalt in Frankfurt sein Glück gemacht hat. Einiges hatte zunächst dafür gesprochen, dass der junge strebsame Jurist, im Badischen stark verwurzelt, dort auch reüssieren würde. Geboren in Lörrach, wuchs er in Freiburg auf, wo sein Vater, ebenfalls Jurist, Direktor der Deutschen Bank war. Als jüngstes von vier Kindern (zwei Schwestern, ein Bruder) schickten ihn die Eltern auf ein naturwissenschaftlich orientiertes Gymnasium: „Sie waren der Meinung, es reiche, wenn zwei Kinder Griechisch gelernt haben.“
Das große Latinum fiel gleichwohl auch für den Jüngsten ab. Seine Lust, den Geist zu erproben, entwickelte sich ohnehin unabhängig vom schulischen Curriculum: „Ich war schon früh eine Leseratte.“ Er spielte lange mit dem Gedanken, wegen seiner Liebe zu alten Büchern Antiquar zu werden, zumindest aber Germanistik oder Geschichte zu studieren. Weil aber die Fragen des Rechts und der Wirtschaft, lebhaft diskutiert am Familientisch, ihn ebenso umtrieben, entschied er sich für Jura.