Ferragosto : Die wunderbare Wandlung der Hera zur Madonna
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Das verbrannte Gras unter der glühenden Sonne trägt seinen Teil dazu bei, dass ein Hauch von Ewigkeit über dem Ausgrabungsgelände von Paestum liegt. Bild: Andreas Schlüter
Hitze, Schweiß und Göttinnen zwischen Paestum und Capaccio – der magische Feiertag Ferragosto, erlebt im Süden Italiens.
Manchmal geht auf Reisen einfach alles schief. Und das von Anfang an. „Tut mir leid, aber Ihre Kreditkarte ist nicht in Ordnung“, hatte der junge Mann am Schalter der Autovermietung im Flughafen von Neapel gesagt. Und das mit schnell abkühlender Freundlichkeit und dem professionell abschweifenden Blick in Richtung des nächsten Kunden. „Nein, Sie können die Kaution leider nicht bar hinterlegen.“ Fertig.
Draußen – es war selbst für den Süden Italiens ein bemerkenswert heißer Augusttag – glühte Neapel. In der Nacht hatte die Hitze über der Stadt gelegen wie eine feucht dampfende Wolldecke. Vielleicht war alles, was dann folgte, auch diesen außergewöhnlichen Temperaturen geschuldet. Auf jeden Fall war es mehr als leichtsinnig, nach der Episode am Schalter der Autovermietung in den nächsten Bus zu springen, quer durch die Stadt vom Flughafen zum Bahnhof zu fahren, um dort den Zug nach Salerno zu besteigen. Ohne Kreditkarte, nur mit etwas Bargeld in der Tasche und – Höhepunkt der Unvernunft – ohne eine verlässliche Hotelreservierung am Ort. Fast schon unverantwortlich war dann die Wahl des Reisetermins: der 14. August. Ein Tag vor Ferragosto, diesem magischen Augusttag, an dem ganz Italien in ein kollektives Ferienkoma fällt; jedes Geschäft und jede Bank geschlossen hat und jedes Hotel sowieso ausgebucht ist.
Ferragosto ist der älteste Feiertag der Welt; Octavian, der spätere römische Kaiser Augustus, mit ihm ganz Rom und damit die halbe damalige Welt feierten den Sieg über Marcus Antonius in der Seeschlacht von Actium. Das war im Jahr 31 vor Christus. Gut zweitausend Jahre später ist die Welt eine andere. Doch die Landschaft, die da draußen jenseits des klimatisierten Zugabteils vor dem flimmernden Horizont in einem staubigen Beigebraun zerfließt, ist dieselbe. Manchmal blitzt es silbern aus Olivenhainen auf. Und manchmal – wie Oasen in einer Wüste – ziehen riesige Tomatenplantagen vorüber und schimmert es Gelb im dichten Laub von Zitronenbäumen. Der Rest sind Staub und Steine und ist vertrocknetes Grün. In der Ferne schmilzt bleigrau der Asphalt einsam daliegender Landstraßen unter der Sonne.
Draußen zerdampft die Landschaft
Der Zug ist fast menschenleer. Eine Handvoll Schwarzafrikaner sitzt im Großraumwagen und schaut in die Hitze hinaus. Eine puppenhaft zarte Asiatin mittleren Alters, ihr Füße erreichen kaum den Boden, tippt konzentriert in ihr Handy hinein. Das Gepäck dieser merkwürdigen Reisenden besteht aus riesigen und knallbunten Plastiktaschen, vollgestopft mit allerlei sommerlichem Talmi aus Sonnenbrillen, Glücksarmbändern, Badetüchern und Armbanduhren mit einem Rolex- Ziffernblatt. Sie sind „venditori ambulanti“, fliegende Händler auf dem Weg zu den Stränden von Paestum, Agropoli oder – weiter südlich – denen des Cilento, die sie in den Sommermonaten wie eine orientalische Karawane durchstreifen.
Doch erst einmal muss in Salerno umgestiegen werden. Die Türen der Waggons öffnen sich, und die klimatisierte Kühle verwandelt sich in eine feuchtwarme Masse, gerade so, als fiele man in einen ofenwarmen Pudding. Alle flüchten, das Gepäck hinter sich her schleifend, in den Schatten des Bahnsteigs. Die klitzekleine asiatische Dame verschwindet fast zwischen ihren Taschen und ist dankbar für die angebotene Hilfe. „Sono chiromante“, sagt sie zwitschernd. „Wahrsagerin. Soll ich Ihnen aus der Hand lesen?“
Aber da kommt schon der Regionalzug in Richtung Paestum. Nicht klimatisiert und plötzlich auch vollgestopft mit italienischen Schulklassen auf dem Weg zum Meer. Geschrei, Gerangel, Ferienfröhlichkeit und das mutlose Mahnen einiger Lehrerinnen lassen die Hitze fast vergessen. Draußen zerdampft noch immer die Landschaft, drinnen leuchten die Kindergesichter in Vorfreude auf die Sensation von Wasser und Strand. Bälle fliegen durch die Abteile. Eine junge Schaffnerin, so schick, als sei ihre Uniform maßgeschneidert, und so frisch und kühl wie ein plötzlicher Windhauch aus den Bergen, kontrolliert vollkommen ungerührt von den Temperaturen die Fahrkarten. Dann hält der Zug in Battipaglia. Der kleine Bahnhof vibriert in der Sonne wie eine Fata Morgana.
Das Heiligtum der Granatapfelmadonna
Bei jeder Reise nach Paestum, ob im Auto oder mit dem Zug, geschieht irgendwann etwas Außergewöhnliches. Und das meist in der Nähe von Battipaglia. Es ist, als ob man in einer andere Zeitzone hineinfährt. Oder in eine andere Welt. Hinter Battipaglia beginnt endgültig der archaische und sonnenverbrannte Süden und mit ihm auch die alte Magna Graecia – das antike Großgriechenland. „Ungewiß, ob wir durch Felsen oder Trümmer führen ...“, schrieb Goethe in seiner „Italienischen Reise“, als er gemeinsam mit Christoph Heinrich Kniep „auf einem zweirädrigen leichten Fuhrwerk sitzend“ von Battipaglia nach Paestum fuhr.
Der Zug hält an diesem Tag aber erst noch in Capaccio. Die Kinder dösen von Hitze und Aufregung überwältigt auf ihren Sitzen. Die Schaffnerin steigt aus und plaudert auf dem Bahnsteig mit ihren Kollegen. Der Zugführer streckt dazu seinen Kopf aus dem Fenster. Dann kommt der Barista aus der kleinen Bahnhofsbar mit einem Tablett voller Espressotassen. Zikaden zirpen, und das Zugpersonal trinkt einen Caffè.
Ferragosto, das sind nicht nur die Tage an denen das öffentliche Leben in Italien quasi zum Stillstand kommt, der 15. August ist auch einer der wichtigsten Feiertage der katholischen Welt: Mariä Himmelfahrt. Auch hier in Capaccio wird die Gottesmutter an diesem Tag gefeiert. Da oben, irgendwo in den wie blassblau hineingetuschten Bergen am Horizont liegt der „Santuario della Madonna del Granato“, das Heiligtum der Granatapfelmadonna. Das alljährliche Fest dieser von paganen Geheimnissen umwehten Jungfrau ist der Grund für diese Reise. Die Hitze und die Poesie der Zugfahrt haben Unerfreuliches vergessen lassen: keine Kreditkarte, kein Hotel und dazu ein recht überschaubarer Bargeldvorrat. Wie konnte man nur so leichtsinnig gewesen sein, dermaßen schlecht ausgerüstet und vorbereitet in dieses hitzeflimmernde Nichts hineinzufahren? Vielleicht jetzt hier aussteigen?
Selbst die Zikaden schweigen
Auf die Frage nach dem Zentrum von Capaccio macht der Barista nur eine träge Handbewegung. „Also mehr oder weniger ist es das“, sagt er und zeigt auf eine staubige Straße die hinter dem Bahnhof entlangführt. Hotels? „Ja, viele. Aber die liegen alle am Meer. Und das sind ein paar Kilometer von hier.“ Und die Granatapfelmadonna? „Da oben“, er zeigt die Berge hinauf.
„Wenn Sie noch mitfahren wollen, dann bitte jetzt“, sagt dann die umwerfende Schaffnerin. Der Stationsvorsteher trillert in seine Pfeife, der schlaftrunkene Zug setzt sich wieder in Bewegung, verlässt den Schatten des Bahnsteigs und fährt in das gleißende Sonnenlicht hinein.
War das jetzt die richtige Entscheidung? Paestum. Niemand sonst steigt aus. Die Kinder, die fliegenden Händler aus Afrika und auch die asiatische Dame fahren weiter nach Agropoli. Der Bahnhof liegt in Sichtweite der antiken Stadtmauer. Gleich hinter der Porta Sirena führt eine Landstraße durch Felder, unter denen bis heute die Reste des griechischen Poseidonias und des römischen Paestums liegen. Die Hitze ist überwältigend. Selbst die Zikaden schweigen.
Ein Hauch von Ewigkeit
Wirklich schweißnass zu sein hat auch Vorteile. Es ist zumindest ganz und gar sinnlos, sich mit dem Taschentuch noch das Gesicht abwischen zu wollen. Wie eine Halluzination taucht als Erinnerung das Bild eines klimatisierten Mietwagens auf. Das war der Plan gewesen. Aber es sollte ja noch mehr schiefgehen an diesem Tag. Der heitere Mann in Paestums kleinem Tourismusbüro wird noch heiterer, als er die Frage nach einem Hotelzimmer hört.
Gegenüber dem Büro liegt das archäologische Ausgrabungsgelände mit den drei griechischen Tempeln. Ihr Anblick lässt die Hitze für einen Moment vergessen und entschädigt für alle Anstrengungen. Unter den vielen archäologischen Stätten Italiens ist Paestum einzigartig. Die Stadt wurde nicht verschüttet wie Pompeji oder in nachantiker Zeit überbaut, sondern zerfiel in zeitlupenhafter Langsamkeit. Tausend Jahre Einsamkeit. So lange surrten hier vor allem die Malariamücken und grasten Wasserbüffel auf den in der Erde versunkenen römischen Mosaikfußböden. Die Dächer der Tempel stürzten ein, ihre Triglyphen und Metopen fielen in den Staub, und Regen wusch in Jahrhunderten die Farbe aus dem Kalkstein. In der Nachantike war Paestum eine halbentvölkerte und versumpfte Riesenruine. Ein Hauch von Ewigkeit liegt bis heute über dem archäologischen Ausgrabungsgelände.
Es ist wundervoll – einerlei, wie heiß es ist –, hier in Sichtweite der Tempel spazieren zu gehen. Am Ende der Via Magna Graecia biegt rechts die Via Nettuno ab. Der Tempel der Hera ist nun ganz nah. Links plätschert glasklar und eingefasst von Schilf das kleine Flüsschen Capodifiume. Auch das seit Jahrtausenden. Allein das Geräusch des Wassers ist erfrischend.
„Otel Helio“
Trotzdem muss zuerst die Übernachtungsfrage gelöst werden. Die Sorge wegen eines Hotels war vielleicht übertrieben. Gleich würde hier an dieser Straße das „Hotel Helios“ auftauchen. Eine etwas marode aussehende Bungalow-Anlage aus den siebziger Jahren. Im „Helios“ hatte es über Jahre hinweg zu jeder Jahreszeit und auch ohne Reservierung immer ein Zimmer gegeben. Gleich würde die energische Signora Fiorella hinter der Rezeption stehen und den verschwitzten Gast vielleicht sogar wiedererkennen. Einen telefonischen Festnetzanschluss hatte das „Helios“ schon lange nicht mehr gehabt, und am überschaubar großen Pool sonnten sich in den vergangenen Jahren weniger zahlende Gäste als die Töchter der Signora.
Als Erstes ist die Leuchtreklame zu sehen. „Otel Helio“, das „H“ fehlt, ebenso das „s“. Der Parkplatz ist leer, die Eingangstür verschlossen. Drinnen ist eine verwüstete Eingangshalle zu erkennen mit zerbrochenen Spiegeln und umgeworfenen Sofas. Der Garten ist braunschwarz verbrannt und das Schwimmbecken nur noch ein staubiges Loch. Wie viele Sommernachmittage hat man genau hier verdöst? Und wie oft im Winter in einem der ungeheizten Bungalows gefroren?
Auf der anderen Straßenseite der erhebende Anblick der griechischen Tempelruinen und vor den Füßen die traurigen Trümmer des „Helios“. Was wohl aus Signora Fiorella geworden ist? Die drohende Pleite hing seit Jahren wie eine Gewitterwolke über ihrem Familienbetrieb.
Zeit ist sehr relativ in Paestum
Und vor allem: was nun? Mittlerweile ist es früher Abend, und der beginnende Sonnenuntergang vergoldet die Tempel. „Heraia“ hießen in der griechischen Antike die kultischen Veranstaltungen zu Ehren der Göttin Hera. Eines der Attribute dieser Göttin war der Fruchtbarkeit symbolisierende Granatapfel. Zahlreiche tönerne Votivgaben sind in Paestum vor dem Tempel der Hera gefunden worden. Mit dem Niedergang Paestums verließen auch die Götter die Stadt. Nur Hera blieb. Aus der paganen Göttin wurde – samt Granatpafel in der Hand – die Madonna del Granato.
Das Konzil von Ephesus hatte im Jahr 431 die Jungfrau Maria offiziell als Gottesgebärerin bestätigt. In Paestum versammelte sich eine erste frühchristliche Gemeinde im verwaisten Heratempel, bevor im fünften Jahrhundert die Chiesa della Santissima Annunziata entstand. Als dann im frühen Mittelalter ständige Sarazenenüberfälle die Küsten Süditaliens unbewohnbar machten, flüchteten die letzten Bewohner der antiken Stadt in die Berge und gründeten Capaccio. Die Granatapfelmadonna nahmen sie mit. Seitdem gibt es dort oben in den Bergen alljährlich eine Prozession. Zeit ist sehr relativ in Paestum.
Bevor ich ernsthaft daran denke, auf einer der Bänke in der Via Magna Graecia zu übernachten – zumindest der Ausblick wäre grandios –, ist dann doch noch ein Hotelzimmer gefunden. „Sie müssen in fünfzehn Minuten hier sein“, sagte der Hotelbesitzer am Telefon, „das Zimmer ist kurzfristig abgesagt worden und ich habe schon andere Anfragen.“ Die „Villa Rita“ ist nur fünfhundert Meter entfernt, aber nach den Anstrengungen des Tages ist an einen Weg zu Fuß nicht mehr zu denken. Der herbeitelefonierte Taxifahrer will für die kurze Strecke kein Geld – vielleicht hat er Mitleid mit einem Fahrgast, der aussieht, als hätte er soeben eine Wüste durchquert – und verspricht zudem, mich morgen hinauf zum Santuario zu fahren. Klingt gut. Wirkliches Glück aber ist eine kalte Dusche, ein klimatisiertes Hotelzimmer, frische Wäsche und ein Abendessen im Restaurant der „Villa Rita“ mit dem Geräusch klirrender Eiswürfel im Weißweinglas.
Wie eine riesige Handgranate
Der nächste Tag ist nicht weniger heiß, und es war sicher eine weitere törichte Idee, mit dem hoteleigenen Fahrrad die kilometerlange antike Stadtmauer umfahren zu wollen. Aber die Prozession der Granatapfelmadonna beginnt erst am Abend. Der Taxifahrer ist pünktlich, und es geht in die Berge hinauf. Die Angst vor der Malaria war so groß, dass die Bewohner Capaccios und der umliegenden Dörfer erst in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder in die Sele-Ebene zogen. Das antike Paestum besteht bis heute aus nur drei mehr oder weniger belebten Straßen rund um das Ausgrabungsgelände.
„Sehen Sie, da habe ich vor vierundzwanzig Jahren geheiratet“, erzählt der gesprächige Fahrer während der Fahrt und zeigt auf eine Kirche, die aussieht wie eine riesige, halb im Boden steckende Handgranate. „Wo wir schon mal hier sind. Wissen Sie was, wir haben noch Zeit. Wir fahren da mal vorbei.“ Der „Santuario del Getsemani“ ist ein verblüffender Bau der italienischen Nachkriegsmoderne. Ein riesiger marmorner Christus liegt in der Krypta betend auf dem Ölberg. Der Taxifahrer schwelgt in romantischen Erinnerungen.
Recht nah, nicht in Capaccio selbst, sondern auf dem Monte Calpazio schwebt das Heiligtum der Granatapfelmadonna in der dunstigen Nachmittagshitze. Die Straße hinauf ist für den privaten Autoverkehr gesperrt. Nicht nur wegen der Prozession, sondern auch wegen Steinschlaggefahr.
Laternenumzug zu Ehren der Granatapfelmadonna
„Ich muss Sie hier leider rauslassen“, sagt der Fahrer vor den Absperrungen, „bis später.“ Dann ist er auch schon weg, und das Martyrium unter der sengenden Ferragosto-Sonne Süditaliens setzt sich fort. Aber das ist nun fast schon egal. Die kleine Piazzetta vor der Kirche ist festlich geschmückt. Lautsprecher übertragen die Messe aus dem Santuario.
Der Ausblick von hier oben ist Belohnung für den auf dem Weg vergossenen Schweiß. Da unten liegt die Sele-Ebene, liegen die Tempel von Paestum und liegt auch das Meer. Es waren griechische Kolonisten, die vor zweitausendachthundert Jahren erst Sybaris und dann Paestum gründeten. Letztendlich Wirtschaftsflüchtlinge, die das karge Griechenland auf der Suche nach fruchtbaren Böden und strategisch gut gelegenen Häfen, von denen aus sie Handel treiben konnten, verließen. Sie brachten ihre Götter mit, ihre Kenntnisse, Wissenschaften und ihre Kunst. Heute landen an denselben Küsten die Flüchtlinge aus Afrika. Irgendwo an einem dieser Strände dort unten wird die asiatische Zugbekanntschaft vielleicht gerade Urlaubern die Zukunft aus der Hand lesen. Das Leben ist seltsam.
Die Prozession der Granatapfelmadonna beginnt mit der einsetzenden Dämmerung und erinnert an einen fröhlichen Laternenumzug. Es gibt Musik, aufsteigende Luftballons, ein erstes Feuerwerk. Nur ein paar hundert Gläubige folgen dem Zug. Mit Kerzen und Blumen geschmückte „cente“ werden der Madonna offeriert und während der Prozession hinterhergetragen. Kunstvolle Gebilde aus leichtem Holz, Pappe und Papier, einige von ihnen sind mit Kerzen überladen und sehen gefährlich entflammbar aus.
Manchmal ist es richtig gut, wenn alles schiefgeht
Die antiken griechischen Prozessionen, die unten in Paestum auf der Via Sacra zum Tempel der Hera führten, waren auch Erntedank- und Fruchtbarkeitsrituale. Ganz ähnliche, zu Schiffen geformte Votivgaben aus Getreide sollen der paganen Göttin geopfert worden sein.
Die Madonna dieses Abends streckt stolz den Granatapfel in die nun lau werdende Abendluft. Im anderen Arm hält sie das Jesuskind. Die Prozession führt rund um den Santuario und dann – es wird noch dunkler und plötzlich fast frisch – erst in ein kleines Wäldchen und dann in einen Weinberg hinein. Die Musikkapelle ist zurückgeblieben, und es wird sehr still. Glühwürmchen flimmern im Dunkel. Die Gläubigen beten. Die Madonna del Granato, mit allen christlichen Insignien versehen und nur von Kerzenlicht umflackert, lächelt sibyllinisch. Das Fest endet – wie immer im Süden Italiens – mit einem Feuerwerk. Der Monte Calpazio scheint förmlich zu explodieren, und seine Umrisse leuchten schroff vor dem Nachthimmel auf.
Auf dem Rückweg weht ein mittlerweile schon kühler Wind. Dort unten wartet ein Taxi und in Paestum ein Hotelzimmer. Manchmal ist es richtig gut, wenn alles schiefgeht.