Winona/Minnesota : Überraschend schräg
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Die kleine Ortschaft Winona war nur ein Zwischenstopp auf einer Reise durch Minnesota – aber was für einer! Von der Begegnung mit Kunstsammlern, Biertrinkern, Kanuverleihern und anderen Exzentrikern.
Cynthya war dabei, als Robert Kierlin im Frühjahr 2015 seine damals jüngste Erwerbung präsentierte: das Gemälde „Washington überquert den Delaware“ von Emanuel Leutze. Es ist eine Ikone der amerikanischen Kunstgeschichte, was Kierlin jedoch nicht daran hinderte, auch die Vorstellung dieses Bildes ganz unernst in ein Rätsel zu verpacken. Er macht das immer, wenn neue Bilder in seinem Museum aufgehängt werden. Und obwohl nur der Freundeskreis des Museums zu diesem Ritual eingeladen ist, sind es am Ende jedes Mal gut und gern hundert Gäste, die sich das nicht entgehen lassen wollen.
Artig nehmen sie in den Stuhlreihen Platz. Noch sind die neuen Bilder mit schwarzem Stoff verdeckt. Robert Kierlin stellt sich daneben und liest von einem Zettel die kryptischen Hinweise ab, die jeder bereits mit der Einladung erhalten hatte und die eine Fährte legen sollen, um welche Künstler es sich handelt und um welches ihrer Werke. Dann darf munter geraten werden, bis Kierlin den Vorhang abnehmen lässt. Gewöhnlich – so wird erzählt – geht dann augenblicklich ein Raunen durch den Saal, es gibt Applaus und beim anschließenden Empfang Häppchen und Wein, was gerne dazu genutzt wird, wie man in Amerika sagt, mit den anderen geladenen Gästen die Ellenbogen zu reiben. „Rubbing Elbows“: Das ist das Signal, mit dem man sich untereinander zeigt, dass man dazugehört.
Die Gäste mögen das nicht
Daran, dass jemals jemand die richtige Antwort erraten habe, kann sich Cynthya nicht erinnern. Dabei war sie bei allen Veranstaltungen dabei. Als Fotografin hat sie das Aufhängen der Gemälde dokumentiert, hat festgehalten, wie sie verhüllt wurden und anschließend wieder enthüllt, hat die Häppchen fotografiert, die gereicht wurden, und nicht zuletzt die Gäste, wie sie erst andächtig der Einführung lauschen und später gelöst in Grüppchen plaudern und wissend lächeln, wenn ihnen im Rückblick die Rätselfragen einleuchten. Doch solche Bilder nimmt sie nicht mehr auf. „Die Gäste mögen das nicht“, hat die Frau des Sammlers und Hausherrin des Museums, Mary Burrichter, beschlossen. Was natürlich nicht stimmt; im Gegenteil. Jeder sei stolz darauf gewesen, sich tags darauf in der Lokalzeitung zu sehen, sagt Cynthya, und am Jahresende womöglich in den Faltblättern und Broschüren des Museums. So viel Eitelkeit darf ja wohl auch sein. Jetzt fotografiere sie eben nur noch das Ehepaar vor dessen jeweils neuesten Erwerbungen.
Und wie war das nun damals mit dem Gemälde von Emanuel Leutze? „Genau wie immer“, sagt Cynthya unbeeindruckt von dem großen Namen und dem großartigen Bild. Dann scrollt sie auf dem Mobiltelefon durch ihre Mails, bis sie den Fingerzeig von damals gefunden hat: „Two states in one painting.“
„Washington überquert den Delaware“ zählt zu den berühmtesten Gemälden der amerikanischen Kunstgeschichte, womöglich sogar der Welt. Emanuel Leutze war dreiunddreißig Jahre alt, als er im Oktober 1849 das Bild in Deutschland zu malen begann. Am Ende lag es in drei Fassungen vor, darunter eine monumentale, fast vier auf sieben Meter große Version, die heute zu den Schmuckstücken des Metropolitan Museum of Art in New York gehört. Zu sehen ist George Washington, damals General, vor dem entscheidenden Überraschungsangriff auf die englische Armee im Morgengrauen des 26. Dezember 1776 während des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs.