Satirischer Stadtrundgang : Wien, Wien, nur du allein
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Mancher möchte Hundertwassers Müllverbrennungsanlage ja am liebsten selbst in eine Müllverbrennungsanlage stecken. Andere lieben sie Bild: vario images
Abseits touristischer Trampelpfade entdeckt man die Stadt ganz neu. Curt Cuisine führt durch das andere Wien.
Die schönste Ecke Wiens liegt etwas außerhalb der prachtvollen Innenstadt. Ein echter Geheimtipp! Am Rande des 6. Bezirks, dort, wo der Margaretengürtel die Flaneure, Hipster und Fashionvictims vom echten Leben trennt.
Auf dem Weg zu ihr kommt man vorbei an Ecken, in denen Blätter durch die Luft wirbeln und im Kreis tanzen, Ecken, in denen Taschentücher ihr weggeworfenes Dasein fristen. Bis man in den Innenhof von Wohnblocks der Zwischenkriegszeit einbiegt, wo sie, die schönste der schönen Ecken, versteckt, verlassen und einsam daliegt. Kein Hund, der seine Markierung hinterlassen hat, keine unachtsam hingeworfene Zigarette, die ihr Leben in dieser Ecke ausgehaucht hat. Vielmehr vereinen sich in der schönsten Ecke Wiens die Elemente: die Gummimatte, die so viele Tritte hat ertragen müssen, die verwitterte Holztür, auf der sich die Baumringe abzeichnen, die zur Verstärkung eine Metallplatte bekommen hat, an der das Wetter genagt hat. Verrostet und oxidiert, schimmert sie in Grün- und Rottönen.
Kein bisschen Wiener Schnösel
Für Curt Cuisine gibt es kaum einen schöneren Ort in seiner Stadt, er hat ihn in einem Reiseführer beschrieben: „Wien, wie es wirklich scheint!“. Unweit liegen auch noch andere ganz passable Ecken, wie jene des Kirchenportals der Pfarre Neumargareten, die ganz nebenbei auch den hässlichsten Kircheninnenraum Europas beherbergt. Oder jene, an der die Feuerwache Mariahilf steht, dort, wo bei jeder Rettungsausfahrt zwei Hauptverkehrsadern lahmgelegt werden. Unbedingt auf den nächsten Notruf warten, um sich dieses Spektakel nicht entgehen zu lassen!
„Tourismus ist nichts anderes als eine endlose Inszenierung“, sagt Curt Cuisine, der im richtigen Leben anders, als Chef des Reiseführer produzierenden Satireprojekts „Hydra“ aber eben so heißt. Curt Cuisine hat so gar nichts von einem Wiener Schnösel, abgesehen vom Dialekt. Nicht einmal Kaffee trinkt er. Sein Touristenführerkollege Justus Ramm hingegen ist zwar aus Berlin in die österreichische Metropole gezogen, ist aber so arrogant, narzisstisch und schlüpfrig, wie man sich den klassischen Wiener vorstellt. Kaffee trinkt er literweise, doch verharrt er im Hochdeutschen. Würde man beide überblenden, hätte man das, was der Tourist sucht: das wahre, authentische Wiener Würstchen.
Gemeinsam mit einem halben Dutzend anderer Hobby-Wiener haben Cuisine und Ramm den Reiseführer erarbeitet. „Wir wollen den Besuchern einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen“, erklärt Ramm. Sie schlagen nicht nur Wanderungen zu den schönsten Ecken vor, sondern zum Beispiel auch einen Spaziergang mit dem lustigen Titel „Wien für Verlierer“. Der führt vorbei am Heeresgeschichtlichen Museum, am Ernst-Happel-Fußballstadion und endet beim Fundbüro. Auch schön: Die Tour „für Betroffene“. Die Runde vom Lumpenproletariat auf der Donauinsel zum Tierschutzhaus sollte nur im Taxi nachgefahren werden. „Nur ein Wien für Alkoholiker ist nicht zu machen“, sagt Cuisine, während er mir einen exklusiven Stadtrundgang bietet, „denn der Wiener macht ohnehin nichts ohne Zugang zu Alkohol. Da müsste man in jedes Haus einkehren.“