Wien ohne Touristen : Das Augenzwinkern der Sphinx
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Wenig los: Das Obere Belvedere haben die Wiener momentan fast für sich. Bild: Picture-Alliance
Wien sperrt auf, doch nicht mehr alle Schlüssel passen ins Schloss. Das Coronavirus beschert der Donaumetropole einen Neuanfang – und weist vielleicht auch einen Weg in die Zukunft.
Wien empört sich. Wochenlang standen knapp zwei Millionen Menschen mehr oder weniger unter Hausarrest, zusammengepfercht in ihren Wohnungen, mit wenig Auslauf: ein paar Grünstreifen und kleinere Parks in der Innenstadt, etwas größere an der Peripherie. Der Wienerwald wurde per Dekret zur No-go-Area. Zermürbend strikte Verordnungen. Und dann das: Mitte April verlautbart die Regierung erste Lockerungen und damit auch den Fahrplan für die Wiedereröffnung der Museen ab 15. Mai. Worauf sich die Hüter der Kunsttempel zu Wort melden. Eine so rasche Rückkehr zur Normalität strebe man gar nicht an, heißt es, ohne Touristen lohne es sich einfach nicht, den Betrieb hochzufahren.
Eine Ohrfeige für uns, die wir hier leben. Die Kultur ist nationales Heiligtum, ist Lebenselixier und Stolz, ganz egal, ob man das Angebot exzessiv, selten oder gar nicht nutzt. Das Kunsthistorische Museum, die Albertina und das Belvedere: weiterhin nicht zugänglich? Staatsoper, Musikverein und Burgtheater: Programmbeginn Herbst! Das private Sigmund-Freud-Museum: in Renovierung. Muss die von der Corona-Angst gebeutelte Wiener Seele weiter gefesselt bleiben? Entrüstung brandet auf. Wem gehört eigentlich die Stadt, uns oder den Touristen? Zumindest die Museumstanker lassen sich zur Umkehr bewegen, ab Mitte Mai dürfen Besucher wieder an Bord.
Kurzurlaub im Museum
Wien sperrt auf, aber nicht jeder Schlüssel passt noch ins Schloss. Dafür tun sich neue Türen auf. Und das ist durchaus belebend für die Stadt und ihre Bewohner. Die am 10. März ausgerufenen Bestimmungen sind zum Gutteil aufgehoben, letzte Auflagen reglementieren Großveranstaltungen. Doch das Riesenrad im Prater dreht sich wieder, langsam geht es zurück zum business as usual. Aber mit Einschnitten und Veränderungen, die in die Zukunft weisen.
„An den Attersee mit Klimt“ und „Nach Auvers mit van Gogh“ verspricht das Belvedere und bewirbt einen Kurzurlaub im Museum: Die luxuriöse Residenz des Prinzen Eugen von Savoyen, von Lukas von Hildebrandt als Sommersitz errichtet, zählt zu den schönsten Barockensembles. Seit 1903 beherbergt das Schloss die Österreichische Galerie mit Bildern und Skulpturen aus neunhundert Jahren Kunstgeschichte. Gestürmt aber wird sie wegen der Gemälde von Egon Schiele und Gustav Klimt, sie werden bewundert und aus allen Blickwinkeln fotografiert, am liebsten als Hintergrund für Selfies. Eigentlich können wir diese vielgepriesenen Höhepunkte aus dem Schaffen Klimts nicht mehr leiden. Man hat sie uns vergällt, millionenfach auf Teetassen, Halstüchern und Notizblöcken reproduziert. Doch nun lassen sich Vorurteile revidieren, endlich bekommt man die Bilder wirklich zu Gesicht, aus der Nähe und ohne angerempelt und von Besuchermassen gehetzt zu werden. In einem der Säle dann Klimts legendäre Bilder vom Attersee, zum Tableau gruppiert: eine Einladung zur imaginären Sommerfrische.