
Ode an die Ödnis
Von PIA VOLK28.02.2017 · „Bungle Bungle“ heißt das Naturkunstwerk im Westen Australiens, das vor 180 Millionen Jahren aus Stein, Wind und Wasser entstand. Willkommen war der Mensch in dieser Wildnis nie.
Die Bungle Bungle sind der Ort, an dem man versteht, warum einige Aborigines-Gruppen meinen, ihre Welt wurde von einer Schlange erschaffen, denn so sieht der Gebirgszug aus: als wäre eine riesige Schlange kreuz und quer durch eine noch riesigere Wüste gekrochen und ihre Spuren wären zu Stein erstarrt. Rot-schwarz gestreifte Felsdome reihen sich aneinander, rot vom oxidierten Eisen im Ton, schwarz von den Cyanobakterien, die im feuchteren Material gedeihen. Die Felsen am südlichen Ende wurden vom Sand aus der Tanami-Wüste weichgeschliffen, im Norden bröckeln die Dome in den steilen Schluchten. Man möchte nicht glauben, dass diese Schönheit der Zufall hervorgebracht hat, durch Kräfte, die so langsam wirken, dass man ihnen nicht dabei zusehen kann.
Das Alter der Landschaft ist hier der Superlativ: 360 Millionen Jahre alt ist das Gestein, 180 Millionen Jahre dauerte es, bis Wind und Wasser es geformt haben. Kein Mensch war zugegen. Der Kontinent war einsam.
Noch immer liegen die Bungle Bungle in einer fast unbewohnten Gegend: Ein Mensch lebt statistisch gesehen pro 12,5 Quadratkilometer in den Kimberleys, wie man den Großraum im westaustralischen Outback nennt. In Deutschland sind es 230 pro Quadratkilometer. Um in die Kimberleys zu gelangen, muss man von Kununurra aus, der letzten größeren Siedlung, fünf bis sechs Stunden über immer schmaler werdende Straßen und Pisten fahren und holpern. Man kriecht langsam hinein in die Gottverlassenheit, in die Einsamkeit der Wüste, und spürt irgendwann die Weite des Landes, den ganzen Kitsch, den man von Australien erwartet. 35.000 Menschen besuchen die Kimberleys im Jahr, zwei Drittel von ihnen tun es aber mit dem Flugzeug.
Von oben stellt man fest, dass die Bungle Bungle nur eine wahnsinnige Erscheinung unter vielen sind. Allerdings der einzige natürliche Wahnsinn. In knapp fünfzig Jahren haben Menschen göttergleich diese trockene, lebensfeindliche Landschaft geformt. Der Mensch selbst ist dabei jedoch der Fremde in der Fremde geblieben, ein Störfaktor der natürlichen Harmonie. Der Pilot heißt Matt. Er ist nicht nur das, muss man sagen, er ist auch ein Landschaftskommentator. „Ich bin nicht von hier“, sagt er. „Ich stamme von der Ostküste, aus Brisbane.“ Er ist die Tour rüber zu den Bungle Bungle schon viele Dutzende Male geflogen. Freundlich, in langsamen Englisch, redet er nur von dem Schönsten, dem Besten, dem Coolsten. „Kununurra ist eine der zehn jüngsten Städte Australiens“, sagt er. Aus der Luft sieht der Ort noch kleiner, noch verlorener aus, als die Zahlen vermuten lassen. 4573 Einwohner, aber wenn Touristensaison ist, leben bis zu 10.000 hier, angeblich. Verifizieren lässt sich diese Zahl nicht. Wandert man in Kununurra umher, läuft man allein auf breiten Gehwegen, während vereinzelt Pick-ups an einem vorbeifahren und Staubfahnen hinter sich herziehen. Nach einer halben Stunde kennt man den Ort, und länger könnte man die Hitze auch nicht ertragen. Der Mensch ist hier nicht willkommen, und er war es nie.
Australien ist jung. Die älteste Stadt, Sydney, wurde 1788 gegründet, die Gründungsphase hielt bis in die 1920er Jahre an. Es entstanden Städte entlang der Ostküste, die Metropolen und Ballungszentren. In den 1960er Jahren begann abermals eine Gründungszeit, bei der allerdings Ortschaften abseits von allem entstanden. Meist von Firmen gegründet, als Versorgungsstützpunkt für die Männer und Frauen, die Uran, Bauxit oder Gas aus dem Boden holen. Ihnen folgten Jahre später oft Touristen, auf der Suche nach dem Authentischen, Abenteuerlichen, Sonderbaren. Auch Kununurra ist so ein künstliches Nest, 1961 in den Boden gestampft, nur einer Idee folgend. Die Steppe fruchtbar machen, den Fluss Ord aufstauen und von den Ernten des Gemüsegartens halb Asien ernähren. Kununurra war eine Stadt voller Baracken für Arbeiter, einem Flughafen und außen herum nur trockenes Land. Ein paar Rinderfarmen gab es in der Region, und natürlich lebten Aborigines dort, aber auf die wurde damals noch weniger Rücksicht genommen als heute. Es kamen die Weißen, die sich das Land untertan machten. Aborigines glänzen in australischen Geschichtsbüchern besonders durch Abwesenheit. Sie erhielten erst 1962 das Wahlrecht, tauchten 1971 zum ersten Mal in der australischen Volkszählung auf, und erst fünf Jahre später wurde anerkannt, dass sie so etwas wie Land besessen und genutzt haben. Bis dahin war Lake Argyle, der heute größte See des Kontinents, längst aufgestaut.
Er ist so groß, dass Berlin darin untergehen könnte. Ein Damm reichte, ein paar hundert Menschen, die ihn hochzogen und danach wieder abgezogen sind. Alles Weitere tat die Natur.
Riesige grüne Flächen reihen sich westlich von Kununurra aneinander, sauber parzelliert, in kubistischen Mustern angeordnet und von einem Rahmen roter, trockener Erde eingefasst. Sie sind dreimal so groß wie Sylt. Das Klima in den East Kimberleys ist ein trockenes Steppenklima. Es regnet zwar immerhin 800 Millimeter im Jahr, so viel wie auch bei uns, aber 600 davon fallen in nur vier Monaten, im Sommer bleibt der Himmel so gut wie wolkenlos. Dabei ist es durchschnittlich 28 Grad Celsius warm, in Deutschland gerade mal neun Grad, ein großer Teil des Regens verdunstet wieder. Eine Studie der Monash University ergab, dass für jeden Dollar Gewinn, den man aus einer bewässerten Fläche in dieser Region herausholt, zwischen 1,10 Dollar und 3,20 Dollar investiert werden müssen und wurden. Heute wachsen Sandelholzbäume auf dem wertvollen Ackerland, einst geplant für Reis, Zuckerrohr, Kürbisse, Melonen, Kichererbsen, Mangos. Der Reis brach unter den Gänsen zusammen, die die Felder kahlfraßen und den Flughafen lahmlegten. Die Zuckerrohrproduktion konnte den Weltmarktpreisen nicht standhalten. Die Rumfabrik, die es noch gibt, importiert heute ihre Melasse aus einem anderen Bundesstaat an der Ostküste, das Eichenholz für die Fässer aus Südaustralien. „Sandelholz ist nicht von hier“, sagt Matt. „Aus Indien. Unter uns ist die größte Sandelholzplantage der Welt. Ziemlich cool, oder?“ Zehn bis 15 Jahre braucht ein Baum, bis er geerntet werden kann, und dazwischen nicht allzu viel Pflege. Von oben sieht man wieder keinen Menschen, keine Traktoren, Sonnenschirme, Unterstände. Statt roter Erde grüne Baumkronenkreise, wie an einer Perlenschnur.
Das Wasser, das die Bäume nährt, stammt aus dem Lake Argyle. Viele Dutzend Inseln sprenkeln die Wasserfläche, über 250 Vogelarten soll es geben. Sie sorgen dafür, das Touristen noch ein, zwei Tage länger hier bleiben, in dieser Gegend, in der sonst nie jemand länger geblieben ist: Tierbeobachtungen und Sonnenuntergangscruise. Aus dem Flugzeugfenster sieht man einige Boote als weiße Linien über den See schippern. Auf einem der alten Felsrücken kann man mit viel Phantasie Krokodile ausmachen, die in der Sonne baden. Über 25.000 Süßwasserkrokodile leben im See, darin schwimmen darf man trotzdem. Nur Salzwasserkrokodile fressen Menschen, weiß in Australien jedes Kind. „Sehen Sie die Hütte dort drüben auf 13 Uhr?“, fragt der Pilot. Ein silbernes Rechteck funkelt. „Das ist die alte Durack Farm. Die haben sie abgebaut, bevor sie den See geflutet haben, und Stein für Stein wieder aufgebaut. Ist heute ein Museum.“
© Imago Von unten betrachtet: Die meisten Touristen fliegen über die Bungle Bungle genannten Sandsteingebirge.
Patrick und Michael Durack waren irische Brüder, die ihre Rinder aus West Queensland in einem drei Jahre dauernden Treck über 5000 Kilometer quer durch den Kontinent trieben. Ihre Farm nannten sie Argyle Downs, nun trägt der See ihren Namen. Es die klassische australische Pioniergeschichte: Die weißen Helden aus dem kolonialen England, die die Strapazen der Hitze, Fliegen, Krankheiten überleben und das Land zu dem machen, was es heute ist, karges Outback. Aber trockener Boden und störrisches Gestrüpp, so sahen die East Kimberleys nicht immer aus. Was wir als natürlich ansehen, ist nur der Beginn der europäischen Kolonialvergangenheit. Die Stunde null der Weißen. Bevor es uns dort gab, bevor Rinder und Schafe den Boden kahlfraßen und mit ihren Hufen zusammenstampften und verfestigten, bevor der Regen Flüsse in reißende Ströme verwandelte, war die Landschaft eine karge Grasweide, vermutlich ähnlich, wie man sie aus der Mongolei kennt. George Grey, 1839 einer der ersten Europäer in Westaustralien, beschreibt ackerbauende Aborigines, berichtet von Brunnen. Menschen, die sich den Umständen anpassten und nicht die Umstände nach ihren Bedürfnissen modellierten. Doch Aborigines haben keine Farmen hinterlassen, die man als Besucherzentrum woandershin verpflanzen kann. Ihre Werte sind untergegangen.
Hinter Lake Argyle klafft ein riesiges Loch in der Erde, es sieht aus wie ein Geburtskanal, in den man hineinschaut. Seit zwanzig Jahren wird daran gebaut. 42 Kilometer Tunnel winden sich in die Tiefe. Lastwagen fahren in großen Zickzackstraßen hinein und heraus. „Wenn Sie Geld übrig haben“, sagt Matt, „kaufen Sie sich rosa Diamanten. Ihr Preis hat sich alle fünf Jahre verdoppelt. Selbst Splitter kosten Tausende von Dollar.“ Die Argyle-Diamanten-Mine produziert 7000 Kilo Rohdiamanten im Jahr, keine andere schafft mehr. Neunzig Prozent der weltweiten pinken Diamanten stammen aus ihr. Noch ein, zwei, vielleicht fünf Jahre, dann wird auch sie erschöpft sein.
Sandelholz-Parfum, Jachten auf künstlichen Seen, rosa Diamanten. Der Weg zum Ursprung führt durch Reichtum, Luxus, Dekadenz. Erst wer alles hat, will zurück zum Einfachen. Menschen reisen an, weil sie die Bungle Bungle, dieses Wunder der Natur, sehen wollen, und auf der Reise dorthin werden sie unruhig und nachdenklich: Natur, was ist das eigentlich? Fremde Sandelhölzer, fremde Rinder, fremde Billabongs, wie die Wasserlöcher in der Sprache der Aborigines heißen. Unter ihnen liegt eine Landschaft der Gier und der immerwährenden Wertsteigerungen.
© Tourism Western Australia Library Von oben stellt man fest, dass die Bungle Bungle nur eine wahnsinnige Erscheinung unter vielen sind.
„Bevor wir beginnen, möchte ich die Kija und Jaru erwähnen, die traditionellen Beschützer dieses Landes“, sagt Ian. Das Flugzeug ist auf dem Bellburn Airstrip im Purnululu-Nationalpark gelandet. Ein Jeep bringt die Reisenden zur „Wilderness Lodge“, einem fest installierten Camp mit Zelten, in denen man stehen kann, mit Holzboden und eigenen Bädern. Zu Beginn der Saison werden sie aufgebaut, am Ende verschwinden sie wieder. Ian ist der neue Kommentator, und auch er stammt nicht von hier, sondern aus Geraldton, 2700 Kilometer entfernt, ein halbes Mal quer durch den Kontinent, an der Westküste. Er bleibt, solange auch Touristen bleiben. Er ist der Erste, der Aborigines auch nur erwähnt. Die Zahl der Kija ist gering, es leben weniger als 100 von ihnen, Jaru sprechen weltweit noch 250 Menschen. Die Sprachen werden als stark gefährdet eingestuft, es gibt zu wenig Menschen, die sie weitergeben können. Sie verschwanden während einer Periode, die als „the killing times“ in den australischen Geschichtsbüchern steht. Rinderzüchter töteten Aborigines, die Rinder erschlugen, sich weigerten, Wasserquellen preiszugeben oder sich versklaven zu lassen.
Zwischen 1890 und 1920 tobte in den Kimberleys ein Guerrillakrieg, nur ohne Urwald. Noch heute existieren Aborigines in den Kimberleys vor allem als Lippenbekenntnisse in Tourismusbroschüren und als Informationstafel am Rande von Campingplätzen. Einige wenige Stellen mit Felsmalereien gibt es im Labyrinth der Bungle Bungle. „Der Wind und der Sand schleifen den Sandstein ab, die Malereien verschwinden“, sagt Ian, „nichts hier ist von Dauer.“ Hinter seinem Wagen lösen sich die Fahrspuren in Staubwolken auf, während er den Jeep durch die bizarre Landschaft steuert, die aussieht wie eine dreidimensionale Modellierung eines Herz-EKGs. Das Herz der Zeit, der Millionen Jahre, des Kontinents, als er einst einsam war.
© F.A.Z.-Karte sie.
Nach Kununurra
Anreise: Nach Kununurra mit Air North von Darwin oder Broome aus, ab 130 Euro, Flugzeit eine Stunde. Der Greyhound Bus braucht von Darwin aus zehn Stunden (90 Euro). Kingfisher Tours fliegt vom Kununurra mit kleinen Cessnas über die Bungle Bungle, Preis 270 Euro (kingfishertours.net).
Bungle Bungle Guided Tours: Von Aborigines geführte Touren, gibt es seit Ende vergangenen Jahres. Sie werden von der Wunan-Stiftung gefördert (wunan.org.au).
Die Ein- bis Zwei-Tages-Touren kosten ab Kununurra zwischen 600 und 1100 Euro. Die Wunan-Stiftung betreibt in Kununurra auch das Wunan House, in dem Aborigines aus der Region eine touristischen Ausbildung erhalten. Übernachtung mit Frühstück ab 80 Euro (wunanhouse.com).
Unterkunft: „Kimberley Wilderness Lodge“ ab 280 Euro pro Nacht (kimberleywilderness.com.au).
Buchtipp: (englisch) Bruce Pascoe: „Dark Emu“. Magabala Books
Zum Teil wurden die Recherchereisen für diesen Artikel von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien oder Fremdenverkehrsämtern unterstützt. Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Texte.
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 28.02.2017 13:16 Uhr
