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Szene in Serbien : Die Nacht, das Leben

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Umweltschutz und elektronische Musik

So ist es ein folgerichtiger und doch mutiger Schachzug der nationalen Tourismusorganisation Serbiens, das Label „Underground“ zum neuen Markenzeichen zu erheben. Es trifft sich gut, dass seit vier Monaten endlich auch der reale Untergrund besichtigt werden kann. Das Katakombensystem unter der Stadt machte spätestens Emir Kusturicas Film „Underground“ berühmt. Zwanzig Jahre lang merkt darin ein abgetauchtes Partisanengrüppchen nicht, dass der Krieg zu Ende ist. Allerdings beschleicht einen das Gefühl, dass die Agentur „go2serbia“ nicht gerade das interessanteste „eine Prozent Unterwelt“, so die Eigenwerbung, im Angebot hat: Ein Weinkeller gehört dazu, ein Gefechtsbunker sowie das habsburgische Pulvermagazin der Festung, in dem etwas unmotiviert Fundstücke aus dem römischen Singidunum herumstehen. Denn leider musste der hier einmal brummende Nachtclub - der Boden ist voller Kaugummis - dem toten Minimuseum weichen. Das Interesse an den Führungen aber ist groß. So bleibt zu hoffen, dass weitere Anbieter schnell die restlichen neunundneunzig Prozent Untergrund erschließen, denn es gibt da unten Tunnel, Brunnen und ganze Flüsse zu entdecken.

An dieser Stelle muss die Risikobereitschaft der Tourismusorganisation gewürdigt werden, auf ihre jungen Mitarbeiter gehört zu haben. Es ist nämlich für eine offizielle Behörde in einem so stolzen Land wie Serbien keineswegs selbstverständlich, klassizistische Kulturtempel und herausgeputzte Jugendstil-Juwelen wie das Hotel Moskva einmal links liegenzulassen und stattdessen muffige Keller zu präsentieren oder die Besucher zur Umweltschutzorganisation Supernatural zu schicken, die eine illegale Müllkippe beseitigt und auf der zurückgewonnenen Huja-Halbinsel ein Festival mit elektronischer Musik und Umweltdiskussionen organisiert. Auch in Staro Sajmiste machen wir halt, dem ehemaligen Messegelände, das den Nationalsozialisten als „Judenlager Semlin“ diente. Mehr als zehntausend Menschen wurden hier grausam ermordet, woran keine einzige Tafel erinnert. Heute wohnen in den Baracken arme Familien, wohl vornehmlich Roma.

Fleisch essen, Rakija trinken, rauchen

An Skadarlija führte kein Weg vorbei. Das muss er auch nicht: Das alte Bohèmeviertel ist zwar eine prominente Ausgehmeile, aber gemütlich und keineswegs allein bei Touristen beliebt. Gegessen wird in den Restaurants ausschließlich Fleisch, als Vor-, Haupt- und Nachspeise. Serben würden Fleisch auch trinken, aber weil das nicht möglich ist, muss der Rakija her. Dass überall geraucht werden darf, ja muss - so sind die Schilder mit der nicht durchgestrichenen Zigarette wohl zu lesen -, versteht sich fast von selbst. In den Restaurants lauern zudem „traditionelle Bands“, und pünktlich mit der Vorspeise geht das große Fideln, Klampfen und Trompeten los - leider nicht nur flotter Balkan-Zigeuner-Sound, sondern auch zielgruppenorientierte Akustik. Sollte man als Deutscher enttarnt werden, bedeutet das „Rosamunde“ rauf und runter.

Das ist freilich immer noch besser als alles, was sonst im „Overground“ beliebt ist: goldkettenkitschiger, chauvinistischer Turbo-Folk, Affen-Techno und Achtzigertrash. Billy Idol jodelt aus jedem Radiosender. Marilyn Manson, Ozzy Osbourne, Faith No More, Sisters Of Mercy und The Prodigy kommen live nach Belgrad, die Headliner beim riesigen „Exit“ Festival im benachbarten Novi Sad heißen Duran Duran, New Order und Guns N’ Roses. Musikalisch ist Serbien Zombieland.

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