Reise nach Troja : Stein oder Nichtstein
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Die historische Wahrheit ist ein kaltes Ding, aber dafür ist das neue Pferd beim Ausgrabungsgelände in Troja aus Holz und kann von jedermann bestiegen werden. Bild: Archive von Troja
Wie schön wäre es, wenn die Schlachten der homerischen Helden wirklich hier stattgefunden hätten: Eine Reise zu den heiß umkämpften Ruinen von Troja.
Ist es das? Lag hier das Tor, das skäische, wo „der Troer Gebieter dort auf dem Turme . . . saßen, die Ältsten der Stadt“ und die schöne Helena bewunderten, wie der Dichter der „Ilias“ erzählt? Das wäre schön, denn der Anblick, der sich von der Besucherplattform im Südwesten des Burghügels von Hisarlik herunter bietet, passt perfekt zu unserer Vorstellung von dem Ort, an dem Achill und Hektor, Paris und Patroklos um Leben und Ehre und die Schätze der Stadt des Priamos stritten. Da liegt eine breite, mit Steinplatten gepflasterte Rampe zwischen meterdicken, im Zickzack verlaufenden Mauern, Reste einer Befestigungsanlage, die den Kern einer bronzezeitlichen Großsiedlung umschloss – Fürstensitz, Königsburg, Schlachtfeld, all das, was vor dem inneren Auge des Reisenden aufsteigt, wenn er liest, wie der Dichter Homer die steile, hochgebaute und ruhmreiche Ilios beschreibt, Stadt der Troer und Schauplatz jenes Krieges, dessen Schilderung am Anfang der europäischen Literaturgeschichte steht. Das muss es sein, das skäische Tor!
Schön wäre es. Aber es ist nicht wahr. Die Rampe und die Mauerreste gehören zu einer Anlage, die längst verschwunden war, als die Helden Homers nach Troja zogen. Sie wurde im dritten Jahrtausend vor Christus errichtet, als hier ein lokales Fürstengeschlecht im Mündungsdelta der Flüsse Skamander und Simoeis residierte, und war bereits die zweite Siedlung auf dem Hisarlik-Hügel. Dieses Troja II, wie es nach der heutigen Zählung der Archäologen heißt, kontrollierte offenbar auch die Goldminen im nahen Ida-Gebirge, so dass einige seiner Bewohner beträchtliche Mengen des Edelmetalls horten konnten, die sie von bronzezeitlichen Schmieden zu hinreißend filigranen Schmuckstücken verarbeiten ließen. Manche fanden sogar Zeit, ihre Schätze unter den Fundamenten ihrer Häuser zu vergraben, bevor Troja II um 2300 vor Christus in einer Brandkatastrophe unterging. Danach ruhten sie gut viertausend Jahre lang unter der Erde des Burghügels über der Ebene des Kara Menderes, wie der Skamander auf Türkisch heißt. Bis Heinrich Schliemann sie wiederentdeckte. Es war der 31. Mai 1873, der Beginn des zweiten, des neuzeitlichen Krieges um Troja.
Dieser Krieg wird nicht mehr mit Schwertern und Schilden, Speeren und Streitwagen ausgetragen, sondern mit Spaten, Schreibzeug und Laptop, und seine Helden sind keine muskelbepackten Recken, sondern promovierte Historiker, Archäologen, Philologen und Kulturbürokraten. Aber im Grunde geht es um die gleiche Frage wie bei Homer: Wem gehört Troja? Wer darf als Sieger die Geschichte schreiben? Der Erste, der darauf eine Antwort gab, war eben Schliemann, und ihm unterlief zugleich der erste folgenschwere Irrtum. Denn der Schmuck, den er aus dem Schutt auf dem Hisarlik herausgrub, war eben nicht der Schatz des Priamos, für den er ihn hielt, sondern gehörte einem vorzeitlichen Herrscher, dessen Name vom Winde verweht ist. Aber das Foto, auf dem Schliemanns Ehefrau Sophia die Goldgehänge aus Troja II an Stirn, Hals und Ohren trägt, ging um die Welt, es prägte das Trojabild von Generationen, und es steckt auch jetzt noch im Kopf des Betrachters, während er von der Besucherplattform herab auf jenes Tor blickt, das nicht das skäische ist.
Troja I bis VIIb
Einen Steinwurf von hier, Richtung Norden, liegt der „Schliemann-Graben“, den der deutsche Amateurhistoriker in den Hügel fräsen ließ, um dessen homerische Schicht freizulegen. Seitab, unter einem Feigenbaum, fand er die Silberkrüge mit dem Priamosschatz. Wenn man von dort hügelaufwärts geht, kann man unter dem stahlgestützten Zelt, das die heutigen Ausgräber aufgestellt haben, die miteinander verbackenen Lehmziegel der Brandschicht von Troja VII betrachten, das der Tübinger Archäologe Manfred Korfmann für den Schauplatz der „Ilias“ hielt. Und wenn man noch weiter nach Osten zurückläuft, zum Eingang des Besucherparcours, den die türkische Antikenverwaltung abgesteckt hat, erreicht man die kunstreich abgeschrägte und gezackte Außenmauer von Troja VI, vor der Schliemanns Nachfolger, der Architekt Wilhelm Dörpfeld, die Heere der Achäer und der Troer aufeinanderschlagen sah.