Runterkommen in Bhutan : Ein schleierhaftes Land
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Selbst die Straßenhunde haben das Bellen verlernt: auf dem 3100 Meter hohen Dochula-Pass in Bhutan. Bild: Christoph Moeskes
Die Hauptstadt: ein Dorf. Die Berge: unbestiegen. Die Hotels: in klösterlicher Konzentration. Wer wirklich seine Ruhe haben will, muss nach Bhutan reisen.
Dass Bhutan kein Land wie jedes andere ist, merkt man bereits in Indien. Das hektische Globalgewusel auf dem Flughafen Delhi kommt einem am einsamen Drukair-Schalter wie ein einziger großer Irrtum vor. Gegen eine ausgedruckte Flugrechnung samt Visumsnachweis erhält man eine blasse Bordkarte mit Drachenkopf, und keine drei Stunden darauf sinkt das Flugzeug der Königlichen Bhutanesischen Fluglinie über die pagodenartigen Doppeldächer im Paro-Tal herab.
Auf dem Rollfeld meint man endgültig, durch eine Zeitschleuse gelangt zu sein. Die Wolken hängen tief, kein Mensch weit und breit. Dafür blicken zwei freundliche Männer von Postern herab ins frontale Nirgendwo. Es sind Jigme Singye Wangchuck, König Nummer vier, und sein Sohn Jigme Khesar Namgyel Wangchuck, Bhutans amtierender König Nummer fünf. Für einen Moment glaubt man, Jim Knopf auf Staatsbesuch in Mandala zu sein. Passenderweise kreist das Gepäckband in der Ankunftshalle um einen Miniatur-Dzong, ein bhutanesisches Klosterfort im Kleinformat, was aus Sicht der Wartenden ausgesprochen hübsch aussieht, aus Sicht des Dzongs aber ziemlich bedrohlich wirken muss, als wenn Riesen mit Rollkoffern in das kleine Königreich im Himalaja gekommen wären.
Das sind sie natürlich nicht, im Gegenteil: Bhutan setzt alles daran, die Ankünfte so klein und fein wie möglich zu halten. Jeder Besucher muss mindestens 250 US-Dollar pro Tag zahlen. Darin enthalten sind Hotel, Fahrer, Führer und Essen, also sämtliche Reisekosten. Buchen lässt sich der Aufenthalt nur über staatlich zugelassene Agenturen. Auf diese Weise wird verhindert, dass Backpacker und Billigtouristen wie in Nepal das Land überschwemmen. Ausgenommen vom Tagessatz sind die Bürger Indiens, der Malediven und Bangladeschs. Bhutan pflegt gute Beziehungen zu den Nachbarn im Süden, während man den Nachbarn im Norden, China, eher mit Argwohn betrachtet. Die Grenze ist abgeriegelt. In diesem windumpfiffenen Schneereich gibt es noch immer Siebentausender, die unbestiegen sind.
Mit Bedacht und im Einklang mit der Natur
Galey wuchtet die Rollkoffer in den Bus, Pema nimmt sie entgegen. Wie alle bhutanesischen Männer tragen auch unser Führer und unser Fahrer in der Öffentlichkeit den Gho, ein robenartiges Gewand, das um den Körper gewickelt und mit einem Stoffband zusammengehalten wird. Dazu haben sie schwarze Kniestrümpfe an. Es sieht aus wie eine sehr asiatische, sehr schicke Schuluniform. Auch Tashi, die sechssprachige Vertreterin von der Luxushotelkette Six Senses, macht in ihrer bodenlangen Kira eine gute Figur. Wie aus dem Ei gepellt ist auch unser kleiner, weißer Reisebus. Die kommende Woche wird er es bleiben. Ein Wunder. Kein Schlammspritzer, keine Fensterschliere wird je die Karosserie verunstalten, obwohl Bhutans kurvenreiche Straßen dies durchaus hergegeben hätten. Wir werden nie erfahren, wie Pema (der Name bedeutet „Lotusblume“) das gemacht hat.
Nichts in diesem buddhistischen Land wird im Eilverfahren erledigt, alles wird mit Bedacht und im Einklang mit der Natur gemacht. Damit ist Bhutan der erste Staat mit nachgewiesener negativer Kohlendioxidbilanz: Seine großen, unberührten Wälder binden mehr Kohlendioxyd, als die 700 000 Einwohner ausatmen. Industrie gibt es keine. Der Staat verdient sein Geld vor allem mit Wasserkraftwerken, die den gewonnenen Strom nach Indien verkaufen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Bruttonationalglück. König Jigme Singye Wangchuck prägte den Begriff 1979 in einem Interview. Mittlerweile ist er Bhutans Markenzeichen. Demnach ist die Wirtschaftsleistung nur einer von mehreren Punkten, an denen sich der Zustand eines Landes bemisst. Genauso wichtig seien Gesundheit, Gemeinschaft, Erziehung, das Aufgehobensein in Kultur und Traditionen, eine gute Regierung und das persönliche Wohlbefinden. Das Konzept findet seit Jahren weltweit Bewunderung. Dass der König 2006 seinem Sohn die Macht übertrug und überdies ein Parlament einführte, machte Bhutan endgültig zum Musterschüler von Nachhaltigkeit, Bescheidenheit und Weitsicht.