Künstler der Vorzeit : Die Magie der Kopie
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So lebendig, so frisch, so dynamisch wirken die Malereien in der Chauvet-Grotte, dass man ihnen ihr Alter von 36.000 Jahren kaum glauben kann. Bild: Reuters
Die Entdeckung der prähistorischen Malereien in der Chauvet-Höhle war eine Sensation. Jetzt ist die originalgetreue Replik der Steinzeitgalerie in der Ardèche eröffnet worden. Eine Erstbesichtigung.
Brav aufgereiht wie eine Entenfamilie gleiten die Wassersportler mit ihren Kajaks unter dem Pont d’Arc hindurch. Der karstige, mit dornigen Garrigue-Büschen betupfte Natursteinbogen spannt sich in mehr als fünfzig Meter Höhe mit kühnem Schwung über die Ardèche, die sich durch die atemraubenden Schluchten des gleichnamigen Départements windet. Ein Duft von Lavendel und Thymian liegt in der Luft. Am Ufer werden erste Weinflaschen entkorkt und Barbecues angezündet, denn es ist Zeit für ein frühes Après-Paddeln. Doch wir bleiben nicht, so verlockend der Gedanke auch ist, denn wir haben keine Zeit zu verschwenden. Denn wir sind nach Südfrankreich gekommen, um uns in die Steinzeit zurückversetzen zu lassen.
Wir blicken auf ein felsiges Kalksteinplateau, dorthin, wo sich der Eingang jener Höhle befindet, die erst in jüngster Zeit nach dem Pont d’Arc benannt wurde. Uns ist die Grotte bisher unter dem einfachen, einprägsamen Namen Chauvet bekannt gewesen. Jean-Marie Chauvet heißt der Speläologe, der am 18. Dezember 1994 mit zwei Kollegen eine unterirdische, mit 36.000 Jahre alten Tiermalereien geschmückte Zauberwelt entdeckte. Die Opulenz und künstlerische Finesse dieses von Mammuts, Wollnashörnern, Panthern und anderen Tieren bevölkerten Bestiariums waren so erstaunlich, dass es die bis dahin führenden Gravuren von Lascaux in der Dordogne und Altamira in Kantabrien, beide Kavernen um etliche Jahrtausende jünger, in den Schatten stellte. Warum nun die Chauvet-Höhle plötzlich nicht mehr so heißen darf und auf den offiziellen, etwas verschrobenen und ellenlangen Namen „La grotte ornée du Pont d’Arc, dite Grotte Chauvet“ umgetauft wurde, hat mit pingeligen, terminologischen Auflagen der Unesco zu tun, die die Höhle im vergangenen Jahr in ihr Weltkulturerbe aufgenommen hat, aber vor allem mit juristischen Fehden zwischen den Entdeckern, den Grundstückseignern und dem Staat als Besitzer. Sei’s drum, wir ignorieren den Bezeichnungs-Hickhack, für uns wird die Chauvet-Höhle die Chauvet-Höhle bleiben, auch wenn es ein wenig trotzig ist.
Die echte Grotte ist für die allermeisten Besucher ein Phantom, versteckt, unerreichbar, abgeschirmt, für alle Ewigkeit versiegelt. Die Wissenschaftler haben von Lascaux gelernt und wollen nicht dieselben Fehler machen. In Lascaux, 1940 entdeckt, schleuste man jahrelang Tausende von Touristen durch die Felskammern. Ihr Atem löste einen Pilzbefall aus, der schon viele Zeichnungen ausradiert hatte, ehe man 1963 die Notbremse zog, die „Sixtinische Kapelle der Höhlenmalerei“ für Besucher schloss und daraufhin die Kopie Lascaux II schuf. In die Chauvet-Höhle ließ man gleich nach der Entdeckung nur handverlesene Forscher. Ihre seltenen Aufenthalte werden auch heute noch mit der Stoppuhr überwacht, es darf außerdem kein einziger Schritt außerhalb eines streng abgegrenzten Parcours getan werden.
Einer der wenigen Nichtwissenschaftler, die das Glück hatten, die abschüssigen Tunnels für knapp bemessene Zeit betreten zu dürfen, war der Filmemacher Werner Herzog. Sein preisgekrönter 3D-Dokumentarfilm „Die Höhle der vergessenen Träume“ zeigt ehrfurchtsvoll die schönsten der 425 Darstellungen – durch die Eiszeit stapfende Höhlenbären, Hyänen, Wildpferde, Riesenhirsche und andere längst ausgestorbene Gattungen. Im selbst gesprochenen Kommentar zu seinem Film schwärmt Herzog von der „sakralen Andacht“, die in der Höhle herrscht, von einer „melodramatischen Aura“, vergleichbar mit einer Wagner-Oper, und dem „Erwachen der Seele des modernen Menschen“.