Helsinki : Harmonie am Messerboulevard
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Direkt am Meer lädt seit 2017 der Allas Sea Pool zum Bade. Eine Sauna gibt es natürlich auch. Bild: Picture-Alliance
Helsinki gönnt sich ein Kunstmuseum mit Zyklopenaugen und eine Bibliothek, die ihre Nutzer glücklich macht. Über die ungewohnten Freuden des öffentlichen Zusammenseins.
Manta fröstelt. Eine kräftige Bö pfeift von der Ostsee herein und fährt in ihren starren Lockenkopf, aus dem grauen Himmel klatschen erste Tropfen auf ihre blanke Schulter und den bronzenen Busen. Vorbei ist der Sommer, als jeden Tag Tausende von Touristen sich an dem plätschernden Brunnen zu ihren Füßen zum Erinnerungsfoto einfanden. Havis Amanda, „Manta“ unter Freunden, die „Liebenswerte des Meeres“ auf dem Marktplatz von Helsinki, bibbert ein wenig. „Winds of change“, mag sie denken – wie für jede Finnin und jeden Finnen ist passables Englisch Ehrensache für sie. Ein Sturm der Veränderung fegt durch die Stadt und bringt Umbrüche mit sich, die vielleicht umfassender sind als alle vorherigen, seit der Bildhauer Ville Vallgren 1908 ihre Figur aus Paris hierhergebracht hat.
Natürlich steht all das klassische Helsinki-Inventar noch an seinem Platz. Da ragen die vergoldeten Zwiebeln der Uspenski-Kathedrale in den Himmel und die weißen Säulen des Doms, der strahlt, als würde er jeden Morgen mit Zahncreme poliert. Erhaben, aber nicht protzig, elegant, aber nicht arrogant thront er über seiner breiten Freitreppe, und auch die cremegelben, neoklassizistischen Gebäude des Carl Ludwig Engel, die den Senatsplatz säumen, haben mit ihren Ausmaßen und klug aufgeteilten Fassaden den Menschen zum Maßstab. Human, nicht gigantomanisch – so ist das finnische Selbstverständnis. Im Stadtteil Töölö bohrt sich inmitten der Wohnblocks die Felsenkirche in den Granit, und der weiße Carrara-Marmor von Alvar Aaltos Finlandia-Halle strahlt immer noch in der Nacht wie die Kreidefelsen von Dover. In der Kauppahalli, der Markthalle am Hafen, sind nach wie vor Lihapiirakka im Angebot, mächtige Teigfladen mit Reis und Hack, Rentierwurst und Muikku, das mit kleinen Maränen gefüllte Roggenbrot. Und auf der Prachtstraße Esplanadi schlendern Touristen vorbei und lesen sich Inschriften vor wie fremde Gedichte: Lääkäriasema – Ärztezentrum. Loppuunmyynti – Ausverkauf. Ylioppilaskunta – Studentenvereinigung.
Süßwasserbecken für Warmduscher
Am Hafen aber, Manta gegenüber, ragt mittlerweile ein ungewöhnliches Ensemble empor. Direkt vor dem Präsidentenpalast lädt ein Riesenrad zum Blick über Stadt und Meer. Flying Helsinki daneben verspricht eine rasante 4D-Achterbahnfahrt über die Dächer der finnischen Hauptstadt. Davor lädt direkt am Meer seit 2017 der Allas Sea Pool zum Bade. Für Warmduscher wird das Süßwasserbecken auf siebenundzwanzig Grad aufgeheizt, während echte Finnen sich erst winters zum Eisschwimmen zwischen die Schollen des Salzwasserbeckens stürzen. Natürlich hat Allas auch eine Sauna, die lebhaft genutzt wird. Sauna ist nicht nur wohlgepflegte Folklore in Finnland. Eine Sauna zu besuchen gilt als Menschenrecht. Selbst die Häftlinge im Katajanokka-Gefängnis durften einmal in der Woche schwitzen, erfährt man bei einem Rundgang durch das Gebäude, das seit 2007 ein Hotel ist.
In den vergangenen Jahren haben gerade öffentliche Saunen in Helsinki ein erstaunliches Comeback erlebt. Anlagen wie die Kultursauna in Merihaka, die Sompasauna, die von Freiwilligen betrieben wird, oder Allas Sea Pool sind elegante Holzbauten, die neben Wasseraufgüssen auch Champagner, meditativen Kerzenschimmer und spektakuläre Ausblicke bieten. Der „hölzerne Felsen“, die Sauna Löyly, wurde 2016 im Süden der Stadt eröffnet und wirkte wie eine Initialzündung zur Wiederbelebung eines ganzen Viertels: Der ehemalige Industriehafen Jätkäsaari wird jetzt Zug um Zug in eine Hafen-City des einundzwanzigsten Jahrhunderts verwandelt. Das West-Terminal, in dem die Fähren nach Tallinn ablegen, erinnert mit seiner weitläufigen Halle und der großzügigen, halbrunden Panoramaverglasung zur See hin an ein elegantes Flughafenterminal. In den Wohnblocks, die daneben entstehen, versuchen sich Bauherrn an Fassadenbegrünung, Dachgärten und einer nicht von Bauträgern diktierten Grundrissgestaltung.