Energiewende : Per Rad im Strom zur Zukunft
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Tempo am Deich: Ein Containerschiff fährt bei Brokdorf die Elbe hinab. Bild: Moeskes
Nirgendwo kann man die norddeutsche Energiewende so gut nachvollziehen wie auf einer Radtour entlang der Elbe: Von Glückstadt zu den abgeschalteten Kernkraftwerken Brokdorf und Brunsbüttel bis zur neuen LNG-Fähre nach Cuxhaven.
Wie schön hatten wir uns diese Radtour zur Energiewende in Norddeutschland ausgemalt. Zuerst mit der Bahn nach Glückstadt, dann auf dem Elberadweg an den abgeschalteten Kernkraftwerken Brokdorf und Brunsbüttel vorbei zur neuen LNG-Fähre, die uns in einer knappen Stunde über die Nordsee nach Cuxhaven schippern sollte. Von dort würde uns ein zuverlässiger Nordwestwind die Weser entlang nach Bremerhaven pusten, wo wir das Klimahaus und ein geplantes Produktionsgebiet für grünen Wasserstoff besuchen würden. Das Gelände des künftigen LNG-Terminals in Brunsbüttel, der uns so schnell wie möglich unabhängiger von russischem Gas machen soll, würden wir auf der vom sirrenden Schlag der Windräder begleiteten Fahrt auch gleich mitnehmen.
Eine runde Sache also, drei Tage Wind und Weite und ganz viel Zukunft. Doch der Mensch ist ein gestricheltes Wesen. Er plant und plant, studiert Karten und legt milliardenschwere Röhren auf den Meeresgrund. Er schließt Verträge und schließt Stromkreisläufe, damit in der Küche das Licht angeht und auch der Toaster. Und dann kommt es doch ganz anders. Wann denn morgen Vormittag die LNG-Fähre nach Cuxhaven fahren würde, wollten wir von der netten Empfangsdame im Hotel in Brunsbüttel wissen, die Fahrradtasche lässig um die Schulter gelegt. „Die Fähre? Die gibt’s nicht mehr. Ist pleitegegangen nach neun Monaten.“
Das knallte uns glatt die Tasche von der Schulter. Wie sollten wir jetzt über den breiten Elbtrichter nach Niedersachsen gelangen? Bereits 2017 und 2001 waren zwei kurze Anläufe gescheitert, Brunsbüttel und Cuxhaven auf dem Seeweg miteinander zu verbinden. Diesmal schien die Sache zukunftssicher, schließlich fuhr die Greenferry 1 mit hippem Flüssigerdgas und nicht mit dem sehr viel umweltschädlicheren Schweröl. „Wir verstehen das auch nicht“, seufzte die Hotelfrau. Eigentlich sei die Fähre gut ausgelastet gewesen mit Lastwagen, Autos und Urlaubern. Gerechnet hat es sich aber offenbar schon wieder nicht. Künftig würden wir den Suchbegriff „Insolvenz“ bei jeder Reiseplanung miteingeben, nahmen wir uns vor, als wir am Abend auf einer Parkbank in einen überwürzten Döner bissen.
Zwischen Klimatour und Kraftakt
Dabei hatte alles so gut angefangen heute Mittag. Die Sonne lachte wie auf einem „Atomkraft? Nein danke!“-Aufkleber, als die Bahn in Glückstadt einfuhr. Wir machten zügig Tempo am Deich. Links zogen große Containerschiffe an uns vorbei, zu unserer Rechten lag sorgfältig zusammengesammelt, was Nordsee und Elbe im Winter ans Ufer geschwemmt hatten. Dieses sogenannte Treibsel begleitete uns kilometerlang, eine gestrichelte Linie aus gelbem Schilf und Unrat, das geduldig auf den Abtransport wartete.
Und dann kam es näher, immer näher: das graue Beton-Ei des Reaktors in Brokdorf. Kaum vorstellbar, dass dies einmal einer der umstrittensten Bauten der Bundesrepublik war. Zehn Jahre lang wurde hier mit Wasserwerfern, Polizeihunden und Stacheldraht, mit Gewalt, Gerichtsurteilen und Baustopps um die Inbetriebnahme gekämpft. Davon war nun nichts mehr zu spüren. Der 2021 abgeschaltete Komplex wirkte auf uns wie eine alte, vergessene Industrieanlage. Auch Brokdorf selbst zeigte sich in wohligem Dämmer. Der einzige Supermarkt der 1000-Seelen-Gemeinde gönnte sich eine zweistündige Mittagspause, und das schöne Freibad, das in den 1970er-Jahren aus Landesmitteln gebaut wurde (man munkelt, als Kompensation für das doch nicht so geheure Beton-Ei), war ebenfalls geschlossen.
Brokdorf ging 1986 ans Netz – ausgerechnet als erstes Kernkraftwerk der Welt nach der Katastrophe von Tschernobyl. Am Sicherheitszaun entdeckten wir eine kleine private Gedenkstätte, die mit frischen Blumen an die „Toten, Kranken und Vertriebenen“ von damals erinnerte. Das war gewiss ehrenhaft, wirkte aber nun, da Russland die Ukraine mit einem brutalen Angriffskrieg überzieht, eigentümlich verwelkt. Vielleicht war der Atomausstieg doch nicht so eine gute Idee? Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke sollen Ende dieses Jahres vom Netz gehen. Und dann?