Radfahren in Italien : Am Ziel kommt immer der Himmel
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Manchmal geht gar nichts mehr: Ein Hobbyrennfahrer kapituliert vor den Steigungen der toskanischen Hügel. Bild: AFP
Mit Nostalgie hat dieses Wettrennen nichts zu tun, sondern mit Selbstbezwingung und Selbstüberwindung: Meine Premierenfahrt bei der Eroica, einem Höllenritt auf alten Rennrädern durch die Toskana.
Warum nur? Warum diese Quälerei? Ein langsames, rhythmisches Keuchen schneidet die Mittagsstille, die sich über die Landschaft gelegt hat. Der schwere Atem geht im Takt der Pedale. Meter für Meter arbeitet sich das Rad am Steilhang empor, im Lauf gehalten durch nichts als Willenskraft und Muskelspannung. Unter den schmalen Reifen knirscht der Schotter der Strada biancha, einer der weit gerühmten weißen, zypressengesäumten Straßen der Toskana. Doch solche Anmut erreicht das Auge kaum noch. Alles ist konzentriert und reduziert auf den mörderischen Anstieg. Das Herz klopft am Hals. Man glaubt, jeden Stein einzeln zu hören, wie er vom Profil zermahlen wird. Nein, man wünscht es sich, als könnte dadurch diese körperzehrende Anstrengung irgendwie belohnt werden. Jetzt nur keinen Aussetzer, kein Verschalten, keinen plötzlichen Sprung der Kette ins nächste Ritzel. Dann müsste man aus dem Sattel, einem brettharten Ledersitz, der nur erträglich wird durch das Hosenpolster und der dennoch jedem aufgenötigten Halt vorgezogen wird. Also weiter, noch eine Kehre und noch eine. Es will nicht aufhören. Da fährt es unwillkürlich aus einem heraus, laut und vernehmlich für alle, die schon oben sind: „Was kommt denn jetzt noch?“
„Am Ende kommt immer der Himmel.“ So schallt es zurück vom Kamm, heiter, erleichtert, durchmischt von der Schadenfreude dessen, der selbst gelitten hat. Wir haben es ja so geplant, wir, die „Frecce di Francoforte“, die „Pfeile“ aus der Großstadt, die sich sonst zur gepflegten Sonntagsausfahrt treffen mit ihren schmucken Rennrädern. Das alles gilt hier nicht. Statt pfeilschnell zu sein, erzwingen die Hügel des Chianti das Tempo einer ausgemusterten Dampfmaschine. Statt auf technisch hochgerüsteten Velos sitzen wir nun auf Zweirädern, die nicht jünger sein dürfen als ein Vierteljahrhundert, Retro-Bikes noch mit Körbchen für die Rennschuhe und einer Schaltung am Rahmen. So fordern es die Regeln der Eroica, des Rennens, für das wir gemeldet sind. Mein Fahrrad ist so alt wie ich, ein Mittfünfziger. Atala, der Hersteller, ist auch der Name des Teams, das den ersten Giro d’Italia gewonnen hatte, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich hatte es als ein gutes Vorzeichen genommen.
Am Anfang war die Rotweinlaune
An jedem ersten Oktoberwochenende verwandelt sich das beschauliche Dorf Gaiole in Chianti in einen wuseligen, bunten Markt für Oldtimer-Räder, für Zubehör, Ersatzteile und edles Traditionsdesign. Mehrere Tausend Radsportler aus allen Weltteilen treffen sich hier im milden toskanischen Frühherbst und besetzen den kleinen Ort, tauschen sich aus über die besten Flaschenhalter, das schönste Felgenmaterial, natürlich aus feingemasertem Holz, das arrogante Rahmendesign. Sie streifen an Ständen vorbei mit verrosteten, uralten Drahteseln, die irgendwo aus einem Fluss gefischt wurden, und nun, kaum zurechtgemacht, als dekoratives Objekt herhalten müssen, um den Verkauf von Klassiker-Schaltungen anzukurbeln. Der Mann auf dem nachgebauten Hochrad, der die Piazza mit unsicherem Tritt auf und ab fährt, wird da kaum registriert, und wenn wahrgenommen, dann als unfreiwillig komische Verneigung vor der Tradition. Die nämlich gibt es noch gar nicht so lang.