Perspektiven der Stadt (11) : Szenen einer zerrütteten Ehe mit Chancen auf Rettung
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Nur nicht zu viel Ehrfurcht: Touristen vor Schloss Sanssouci Bild: picture alliance / dpa
Vor zehn Jahren bin ich nach Potsdam gezogen, geblendet von der Schönheit der Stadt. Doch dann ist sie mir fremd geworden. Ein Tag als Touristin in der Heimat.
Manchmal will ich einfach nur weg. Es sind diese Momente, wenn in meinem Lieblingscafé wieder einmal alle Plätze von Touristen belegt sind, die dort aus einem einzigen Grund sitzen: in der Hoffnung, Wolfgang Joop möge in seiner vermeintlichen Stammkneipe auftauchen wie eine göttliche Erscheinung. Dann bestelle ich in Gedanken schon einen Umzugswagen und verwerfe diesen Plan aber gleich wieder, weil meine Kinder nun einmal hier zur Schule gehen, auf keinen Fall weg wollen und auch ich eine beträchtliche Zahl von Menschen in dieser Stadt nicht missen möchte.
Seit zehn Jahren sind wir nun zusammen, Potsdam und ich. Wo ist er hin, der Enthusiasmus, der mich trieb, hierher zu ziehen, als ich in der Stadt noch keine Menschenseele kannte? Hat ihn derselbe Wind verweht, der beharrlich die anekdotenbehaftete Mühle in Sanssouci antreibt? Vielleicht ist es wie so oft im Leben: Kaum hat man sich an etwas gewöhnt, nimmt man es für selbstverständlich. Es ist an der Zeit, meiner verblassten Liebe eine neue Chance zu geben, bevor sie gänzlich den Bach hinuntergeht, und möglicherweise geht das so: Morgen bin ich neu hier, Touristin für einen Tag, zum ersten Mal in einer Stadt, die ich mittlerweile wie die meisten meiner Handtaschen kenne. Heute Nacht, gleichsam im Schlaf, werde ich es mir in einem mentalen Kraftakt abtrainieren, morgen auch nur eine einzige Biege automatisch zu nehmen oder beim Anblick eines Weltkulturerbeteiles zu gähnen. Wo bin ich? Mit dieser Frage werde ich morgen früh die Augen aufschlagen.
Pastellfarben Saniertes am Broadway
Eine Stunde lang tue ich noch so, als wohnte ich in dieser Wohnung und als sei das meine Familie, die ich soeben in den Tag verabschiede. Schon leicht verwirrt, grüße ich auch noch die Nachbarn, als ich das Haus verlasse. Aber jetzt, eine Straßenecke weiter, darf ich ganz ich sein und den ersten Testlauf starten. "Entschuldigen Sie", frage ich eine zur Straßenbahn hetzende Dame, "wo finde ich denn eine Touristeninformation?" Eilig erklärt sie mir den Weg, rückt unmerklich von mir ab, will mich loswerden und doch höflich bleiben. "Um welche Ecke noch mal? Links oder rechts?" Sie nimmt die Beine in die Hand - und verpasst knapp die Bahn. Ein Liedchen pfeifend und neugierig Löcher in die Luft guckend, entferne ich mich in Richtung Ziel. Links also in die Brandenburger Straße, von der ich später im Reiseführer kopfschüttelnd lesen werde, sie werde von "den Potsdamern" auch "liebevoll Broadway" genannt.
So weit das Auge reicht pastellfarben Saniertes, bestrickend, wenn ich es recht bedenke. Und ich kann es recht bedenken, weil ich einfach mal stehen bleibe, nur so schaue, anstatt genervt und hektisch mit jeder Menge Erledigungen auf der Agenda sich schleppend vor- und zurückbewegende Reisegrüppchen zu umspringen. Auch der zahnlose Akkordeonist ist schon da. Noch gestern aus Angst vor schlimmen Ohrenkrankheiten weitläufig umrundet, will ich ihm heute zuhören. Ja, ich will - und da scheint der Hase im Pfeffer zu liegen: Offenbar muss man nur wollen, und Unkraut verwandelt sich zwar nicht gleich in eine duftende Blume, aber immerhin in etwas, mit dem man ganz gut leben kann. Wie wäre es sonst zu erklären, dass mich der Akkordeonist plötzlich mit seiner Musik, einem Potpourri aus Edith Piaf, russischen Weisen, Lambada und Vivaldi, auf Reisen schickt? Wieder gelandet, lasse ich in aller Gemütlichkeit zwei Euro in den Plastikbecher gleiten - und ernte ein Lächeln.