Brasilien : Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt
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Deutsche Blasmusik und brasilianischer Hüftschwung werden eins Bild: Picture-Alliance
Drei Wochen lang ist Blumenau das Mekka bierliebender Besucher aus ganz Brasilien. Doch viele Einheimische fühlen sich nicht nur bei Blasmusik und Sauerkraut der Heimat ihrer deutschen Vorfahren eng verbunden.
Stoffblümchen kränzen das Haar, unschuldig weiße Kniestrümpfe betonen Damenwaden, derweil das Mieder eher sexy Corsage als Teil einer zünftigen Tracht ist. „Wenn sie ihre heißen Dirndln zeigen und wir Burschen uns die Augen reiben“, dröhnt es aus den Boxen. Zu Hunderten wirbeln die heißen Dirndln durch den Saal. „Und jetzt fängt die Nacht erst richtig an, jedes Madel greift sich einen Mann“, geht es im Liedtext weiter. Diese Männer stecken in knackig engen Lederhosen, die eine Hand am Plastikbierkrug, die andere in die Höhe gereckt. Jetzt alle zusammen: zehn Schritte nach links, Klatschen! Zehn Schritte nach rechts, Klatschen! „Não é difícil!“, ruft der Sänger von der Bühne herab: „Das ist nicht schwer!“ Und heizt der tanzenden, mitjohlenden Menge ein. Oktoberfest in Blumenau: Deutsche Blasmusik und brasilianischer Hüftschwung werden eins, Eisbein und Sauerkraut schmecken auch mit Pommes frites, und das Bier wird im eisgekühlten Glas serviert.
„Wie unser Oktoberfest in München ist es nun nicht gerade“, kommentiert eine echte Bayerin unter den Besuchern. Doch was der Münchener als Abklatsch des heimischen Festes betrachten mag, ist dem Blumenauer heilig. Es ist feierlicher Höhepunkt des Jahres, an dem die Stadt bis zu einer halben Million Besuchern empfängt, fast doppelt so viele Menschen, wie sie Einwohner zählt. Bis 1984 geht die Geschichte der Gaudi hier zurück. Damals wurde die „Festa da Cerveja“ als Hilfsaktion veranstaltet, um mit den Einnahmen die Schäden einer Überschwemmung zu beseitigen. Der Fluss Itajaí war weit über seine Ufer getreten. Doch war der Erfolg so groß, dass man das Bierfest fortan jedes Jahr wiederholte. Schon bald wurde es zum touristischen Aushängeschild der Stadt, immer größer wurde das Festgelände, und vor zehn Jahren schließlich bauten die Blumenauer eine ganze „Vila Germânica“: eine Einkaufsstraße gesäumt von Fachwerkhäusern, die den Eindruck einer deutschen Kleinstadt vermittelt. Andenkenläden wechseln sich ab mit Bierbars. Dahinter liegen die Festhallen. Ganzjährig geöffnet, feiern hier Blumenauer mit Touristen die Idee des Deutschseins: ob im „Weihnachtsdorf“ oder an Ostern mit gefärbten Eiern. Deutsch steht dabei ebenso für gutes Bier und Blasmusik wie für Dichter und Denker und solch hochgelobte Tugenden wie Gründlichkeit, Pünktlichkeit und Fleiß, für eine florierende Wirtschaft und, ja, auch für Merkel.

Arnoldo und Maria Joana aus Blumenau sind seit einundvierzig Jahren ein Paar und besuchen das Oktoberfest, seit es zum ersten Mal gefeiert wurde. „Wir kommen jedes Jahr“, sagen sie, „und nicht nur einmal, sondern zehn-, zwölfmal während der drei Wochen.“ Arnoldo trägt Lederhosen, Maria Joana ihr Dirndl. Sie spazieren händchenhaltend von einer der vier riesigen Festhallen in die nächste, stets auf der Suche nach der besten Musik und Stimmung. In jeder Halle steht eine andere Band auf der Bühne, die Musik dröhnt in den Ohren, man muss brüllen, um einander zu verstehen. Glücklich und aufgekratzt erzählen sie, dass sie gleich ihre Freunde treffen, und dann wird gegessen, getrunken, getanzt und gesungen – „bis mindestens zwei Uhr morgens, wenn nicht gar bis fünf“. Unterwegs sind sie dann als zwölf Paare, „eine richtig gute ,turma‘, alles Deutsche, wir feiern immer gemeinsam“, sagt Arnoldo auf Deutsch mit eigentümlichem Dialekt und rollendem R.