Altes Eisen mit Herz
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Aus dem ehemaligen Industriequartier Belval wurde ein neues Wohnviertel mit Hochofenblick. Bild: Claude Piscitelli
Esch in Luxemburg ist eine der Kulturhauptstädte dieses Jahres. Die vielfältige Stadt versucht nun, sich von schlechtem Image und alter Eisenindustrie zu befreien.
Die Tasche geschultert, den Notizblock unter dem Arm geklemmt, bleibt Mateusz Buraczyk auf der Rue de l’Alzette stehen und hält Ausschau nach seiner Gruppe. Regelmäßig führt der 34-Jährige Touristen durch seine Heimatstadt und kommt an den hässlichen Straßenlampen nicht vorbei, ohne diese Geschichte zu erzählen: „Ach Esch, du Schaurig-Schöne. Die einen halten die zweitgrößte Stadt des Landes für ein ruppiges Proletennest, die anderen lieben die einstige Hochburg der Eisenindustrie für ihre unverstellte Authentizität.“ So beginnt der Beitrag über Esch im Reiseführer Marco Polo, der im vergangenen Jahr erschienen ist. Außerdem werden der Leerstand der „längsten Einkaufsstraße des Landes mit der scheußlichsten Straßenbeleuchtung Europas“ thematisiert und das Resistenzmuseum mit Bauten von Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer verglichen.
Das Kapitel über ihre Stadt hat, wen wundert’s, bei den Eschern Empörung ausgelöst, erst recht nach dem wenig glorreichen Auftritt in Günther Jauchs Quizshow „Wer wird Millionär“. Frage: „Wie heißt die ruppigste Stadt Luxemburgs?“ Nach seiner Meinung gefragt, grinst Buraczyk, der mit sechs Jahren aus Polen gekommen ist und seine Jugend in Esch verbracht hat, etwas beschämt. „Schön sind die Leuchten sicher nicht“, sagt er und schaut auf die violettfarbenen Masten, die sich schräg über die Einkaufsstraße strecken. „Aber sie sind das Markenzeichen von Esch, sie gehören eben irgendwie dazu.“ In den sozialen Netzwerken wurde mit Humor zurückgeschossen, im Charlie-Hebdo-Stil stolz das Mitgefühl mit der Heimatstadt dokumentiert: „Je suis Proletennest“.
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