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Tourismus in Venedig : Der Kreuzzug

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Kanal voll: An der Guidecca schieben sich die großen Kreuzfahrtschiffe durch Venedig, in ihrem Bauch tragen sie mehrere tausend Passagiere und Besatzung Bild: laif

Venedig droht vom Tourismus plattgemacht zu werden. Jetzt wehren sich die verbliebenen Anwohner - die Zahl der großen Schiffe in der Lagune soll begrenzt werden.

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          Wenn wir mit dem Auto heimkommen nach Venedig, dann sehen wir die Kreuzfahrtdampfer bereits von weitem. An den Hafenterminals liegen sie angedockt und überragen nicht nur die platte Silhouette der Häuser knapp über der Wasserlinie. Sie überragen auch die Kirchtürme und den Campanile von San Marco. Sie thronen über der Stadt. Wenn wir auf der Tronchetto-Insel geparkt haben und vom Auto aufs Vaporetto umsteigen, schippert unser Wasserbus oft genug direkt unter so einer Fensterfront von Hunderten von Kabinen entlang. Ganz klein fühlt man sich dann als Venezianer gegenüber diesem Touristensilo, in dem zwischen drei- und viertausend Reisenden bequem Platz finden können, dazu noch einmal über tausend Mann Besatzung. „Ich habe Angst vor denen“, sagte uns neulich bei so einer Gelegenheit unsere Freundin Laura, die in Venedig als Lehrerin arbeitet und fast jeden Morgen mit dem Vaporetto unter den schwimmenden Hotels herfährt. „Und es werden immer mehr.“

          In den Nächten werden die Riesen von Servicebooten betankt, abgepumpt, beliefert - bevor sich dann morgens vor dem Kreuzfahrtterminal die Busschlangen stauen. Dann steigt, meist vom Flughafen Marco Polo angekarrt, frische Kundschaft an Bord, und die Altbelegung wird abgeholt. Vor allem an Freitagen oder Samstagen legen die Pötte gegen Vormittag im Stundentakt ab. Sie setzen sich am Terminal langsam in Fahrt, haben je ein Lotsenboot vorne und hinten an der Leine, wobei unklar bleibt, ob die winzigen Motorschlepper solch einen Touristensupertanker überhaupt halten könnten. Dann schiebt sich der Kreuzfahrer in den Canale della Giudecca, dem man nicht ansieht, dass man ihn schon vor langer Zeit für ozeantaugliche Schiffe auf gut zwanzig Meter Kielwasser ausgebaggert hat. Wer dann auf der Giudecca beim Frühstück sitzt, wer in einem der vielen Cafés an Zattere gegenüber am Cappuccino nippt, aber auch, wer tief in der Altstadt auf der Dachterrasse über das Häusermeer blickt, dem bleibt angesichts der gewaltigen Dimensionen die Spucke weg.

          Die Anzahl der Passagiere hat sich versechsfacht

          Ganz winzig erscheinen neben dem Riesenrumpf plötzlich sogar die Renaissancefassaden großer Kirchen wie San Giorgio Maggiore. Die Kirchen und ihre Campanili verschwinden schnell komplett hinter dem Dampfer. Tausende Reisende haben sich auf ihren Balkons oder, wenn sie auf der weniger attraktiven Seite wohnen, an Deck versammelt und knipsen, was das Zeug hält. Ganz nah, keine fünfzig, manchmal keine dreißig Meter entfernt, gleitet das Schiff nun an der Piazzetta mit den beiden Prunksäulen, am Dogenpalast und seinen Kolonnaden vorbei. Alles ist zum Greifen deutlich. Das gilt auch umgekehrt: Klar erkennen die Venezianer den abgezäunten Fußballplatz droben auf dem Oberdeck, die Kletterwand, die Spaßrutsche. Die Durchsagen vom Deck hallen krächzig durch die halbe Stadt. Ist es dunkel, geht über die Häuser und Passanten an der Riva degli Schiavoni ein unangenehmes Blitzlichtgewitter nieder. Es ist klar, wer in dieser Beziehung zwischen Schiff und Stadt der Boss ist.

          „Inchino“, also Verbeugung, heißt - das weiß seit dem unseligen Comandante Schettino jeder - die rasant knappe Vorbeifahrt eines Ozeandampfers an einer Sehenswürdigkeit. Doch es sind nicht die Dampfer, die sich hier ehrfurchtsvoll vor Venedig verbeugen. Der eklatante Größenunterschied macht klar, dass Venedig von den Dampfern in die Knie gezwungen wird. Berechnungen von Bruttoregistertonnen, Liegegebühren, Arbeitsplätzen und Touristenpräsenzen dominieren seit Monaten die venezianische Lokalpresse. Das ganze Ausmaß der Vernutzung dieser Stadt erweist eine Statistik, auf welche der frühere Bürgermeister und jetzige Präsident der Hafenbehörde, Paolo Costa, sogar noch stolz ist. Seit 1997 hat sich die Anzahl der Passagiere, die in Venedig ein- oder auschecken, von dreihunderttausend auf fast zwei Millionen pro Jahr erhöht.

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