Lüneburg : Das süße Leben mit dem Salz
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Tausend Häuser unter Denkmalschutz: die Altstadt von Lüneburg Bild: Franz Bischof
Für Heinrich Heine war Lüneburg die „Residenz der Langeweile“. Da hat der Dichter wohl einiges übersehen. Ein Spaziergang mit dem Stadtarchäologen beweist: Die Hansestadt bietet architektonische Schönheit und kulturelle Ereignisse.
Die Taxifahrerin, eine korpulente Frau mit schlechtgefärbtem Haar und einem Mich-kann-nichts-erschüttern-Gesicht hat alle Qualitäten zum Original. „Wie fahren wir?“ fragt sie gleich beim Einsteigen im Ton einer konzentrierten Nasa-Astronautin, so dass man an diesem nieseligen Spätnachmittag in Lüneburg versucht ist zu antworten: „Ach, vielleicht über den Umweg Mond.“ Doch Dr. Edgar Ring, Stadtarchäologe von Lüneburg, der noch damit beschäftigt ist, seine durchnässten Sandalen zu betrachten, sagt erst einmal gar nichts. „Was nun? Neue Brücke oder Stadtring? Sie wissen, Feierabendverkehr!“
Draußen winkt Frau Hempelmann freundlich mit ihrem Regenschirm zum Abschied. Dr. Ring entscheidet: „Stadtring“, dann stürzt sich die Fahrerin beherzt in den Verkehr. Frau Hempelmann und mit ihr die Umrisse des Klosters Lüne verschwinden im Regen, während Dr. Ring nun die konsequent schwarz gehaltene Garderobe auf Durchfeuchtung untersucht. Norddeutscher Nieselregen kann sehr insistent sein.
Altstadt aus Kneipen, Eiscafés und Coffee-Shops
Ungefragt nimmt die Fahrerin an der Unterhaltung ihrer Gäste teil und lächelt sibyllinisch, als das Gespräch auf die Stiftsdamen kommt. Sind sie etwa anspruchsvolle Fahrgäste? „Nein. Anmaßend! Vor allem wenn sie betrunken sind.“ Nun rühmt sich Lüneburg mit Blick auf Größe und Einwohnerzahl, zweiundsiebzigtausend, der größten Dichte an Kneipen aller deutscher Städte, und es scheint die possierliche Altstadt fast nur aus Eiscafés, Coffee-Shops und angeblich historischen Gasthöfen zu bestehen, aber die Vorstellung, dass Frau Hempelmann, Frau Krüger, die Priorin des Klosters Lüne, oder eine der zurzeit vier Konventualinnen mehr als eine Cognacbohne zu sich nehmen könnten, ist absurd. „Alles erlebt, alles mitgemacht. Wie das eben so ist in zweiundzwanzig Jahren Nachtdienst“, bekräftigt die Fahrerin ihre auch Dr. Ring sprachlos machende Behauptung.
Allerdings: Hatte Frau Hempelmann, vollendete Dame mit dezentem Schmuck, milchweißem Porzellanteint, Seidenschal und einem Hochdeutsch von klassischer Schönheit während ihrer kunsthistorisch profunden Führung im Refektorium nicht gescherzt: „Saure Wochen, frohe Feste?“ Und auch Frau Krüger in ihrem grünen Cordkostüm mit Lederapplikationen und Korallen geschmückter Anstecknadel war trotz ihrer unerschütterlich wirkenden Eleganz zu allerlei charmanten Neckereien aufgelegt, die Herrn Dr. Rings Gesicht unter seinen langen graublonden Haaren regelmäßig sanft erröten ließ.
Ein Ort geistiger Kontemplation und märchenhafter Verwunschenheit
Das Kloster Lüne am nördlichen Stadtrand Lüneburgs ist nicht nur von kulturgeschichtlicher Bedeutung, sondern auch fast achthundertfünfzig Jahre nach seiner Gründung noch immer ein Ort geistiger Kontemplation und zugleich märchenhafter Verwunschenheit. Wo sich schon um 1140 eine Einsiedelei befand, gründete 1171 Hildeswidis von Marktboldestorp mit adligen Damen ein Stift. Diese erste Anlage, ein Refugium unverheirateter Töchter aus Lüneburger Patrizierfamilien, wurde nach einem Brand 1240 zu einem veritablen Kloster wieder aufgebaut, mit sechzig Nonnen, die sich den strengen Regeln des Benediktinerordens unterwarfen. Im Jahr 1372 brannte das Kloster ein zweites Mal, entstand aber bald darauf, versetzt in der Nähe der lieblichen Ilmenau, neu.