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Die senkrechte Stadt : Stay vertical!

Unter der Erde wird es horizontal: Subway Station in New York Bild: Horst Hamann

Manchmal breit, meistens hoch: Der Fotograf Horst Hamann hat sich in ein Museum eingerichtet. Wie zuvor sein Leben ist es New York gewidmet.

          2 Min.

          Es kommt der Tag im Leben eines jeden Fotografen, da ihn die Masse seiner Bilder überrollt und die Erinnerung an das Werk in seinen Gedanken ebenso viel Raum einzunehmen beginnt wie die nach vorne gerichteten Visionen. Dann heißt es Sortieren: die verbliebenen Pläne – und das angehäufte Material. Wohl dem, der sich dazu einen eigenen Raum einrichten kann. Als perfekt ausgestattete Werkstatt? Als ein gut sortiertes Archiv? Oder als großzügigen Ausstellungssaal? Die Lösung, die Horst Hamann für sich gefunden hat, erfüllt all diese Ansprüche gleichermaßen. Und setzt sogar noch ein Kino obendrauf. Und weil er das Ganze der Öffentlichkeit zugänglich macht, darf man guten Gewissens von einem kleinen Museum sprechen.

          Für das himmelwärtsstrebende New York hat Fotograf Horst Hamann in den Neunzigern mit einer gekippten Panoramakamera die adäquate Ästhetik gefunden.
          Für das himmelwärtsstrebende New York hat Fotograf Horst Hamann in den Neunzigern mit einer gekippten Panoramakamera die adäquate Ästhetik gefunden. : Bild: Horst Hamann
          Freddy Langer
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

          Über dem Eingang prangt programmatisch ein Schild „Here is New York“. Doch wer die Tour durch die riesigen Säle hinten links beginnt, bleibt wenigstens für einen Moment noch Mannheim verhaftet. Oder der Region. Denn dort stehen in achtundachtzig Fächern Bildkartons und Negativordner, die zurückreichen bis ins Jahr 1975, als Horst Hamann halb professionell für den Fußballverein 09 Weinheim spielte. Im dritten oder vierten Fach dann aber, einer Reliquie gleich, jenes Stück Pappe mit der Aufschrift „Looking for a Ride to New York“, mit dessen Hilfe Hamann Anfang der Achtzigerjahre im Anschluss an einen fotografischen Workshop in Maine nach einer Mitfahrgelegenheit suchte, sie fand und mit der Reise seinem Leben eine neue Richtung gab. Vierundzwanzig Jahre lang blieb er in New York, der Stadt, die auf niemanden wartet und auf die sich keiner einlassen sollte, der nicht bereit ist, das Glück herauszufordern, wie Hamann an einer der Wände den amerikanischen Autor Elwyn Brooks White zitiert.

          Plötzlich steht Heidi Klum vor der Tür

          Wenn Horst Hamann von New York erzählt, reiht sich eine Anekdote an die andere, ob er nun als Assistent bei seinem ersten Job im achtzigsten Stockwerk des World Trade Center für einen Fotografen Filme wechseln musste und Kaffee kochen und darüber das Bild nicht machen konnte, von dem er bis heute glaubt, es wäre womöglich sein bestes geworden, der Blick auf die Türme der Stadt gerichtet, die sich stolz durch eine Wolkendecke recken. Oder ob er von Heidi Klum berichtet, die ihm eine französische Agentur ins Atelier geschickt hatte im Irrglauben, er sei der Modefotograf Horst. Er saß bei Andreas Feininger zu Hause, dessen New-York-Buch ihn als Teenager zum ersten Mal von Amerika träumen ließ, und er gestaltete mit Adam Schatz und Eli Morgan Gesner ein Skateboard, das mittlerweile als Kulturschatz in die Sammlung des Smithsonian aufgenommen wurde: mit einem schlanken Foto auf der Unterseite des Bretts, auf dem die Twin Towers in der Skyline der Stadt zwar fehlen, sich in einer Pfütze dennoch spiegeln. Sie hatten es „Unbreakable“ genannt.

          Das war die Zeit der Vertikalen, die so etwas wie Hamanns Markenzeichen wurde. In den Neunzigern hatte er Manhattan mit einer Panoramakamera fotografiert, den Apparat aber um neunzig Grad gekippt und damit New York interpretiert wie seltsamerweise niemand zuvor, dabei war erst jetzt das Bild der himmelwärts strebenden Stadt adäquat umgesetzt. Der Bildband, knapp einen halben Meter hoch, aber keine zwanzig Zentimeter breit, zählt heute zu den am meisten verkauften Fotobüchern der Geschichte. Und die Motive dekorierten fortan nicht nur Diner und Raststätten überall auf der Welt, sondern auch Bettwäsche und Krawatten. Jetzt hängen sie, metergroß abgezogen, im Zentrum einer selbst kuratierten Retrospektive. Umrahmt von Beispielen anderer Serien Hamanns wie den Musikerporträts, den Farbaufnahmen des Straßenverkehrs in der verschneiten Stadt oder den kühnen Per­spektiven, für die er auf den Raubvogelköpfen des Chrysler Building balancierte. Und es gibt Dokumentarfilme zu sehen, in denen New Yorker ihr Verhältnis zur Senkrechten erklären – in einem Kino so schmal wie eine Besenkammer, so steil wie die Pyramiden von Gizeh und so hoch wie ein Tanzsaal. Die Leinwand ist dreieinhalb Meter hoch, aber nur anderthalb Meter breit. Das gebe es nirgendwo sonst auf der Welt, sagt Horst Hamann und ruft später, zum Abschied: „Stay vertical!“

          Gallery New York, Fritz-Salm-Straße 3, Mannheim. Geöffnet Donnerstag von 17 bis 20 Uhr, Samstag von 12 bis 17 Uhr, Sonntag von 14 bis 18 Uhr. Information im Internet: www.gallery-ny.com.

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