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Ein „partizipatives Restitutionsprojekt“: In Leipzig wird „die Bausubstanz des Grassi Museums abgetragen, um aus dem Material Replikate des Steins herzustellen“. Bild: PARA

Ausstellung in Leipzig : Der Stein des Anstoßes

  • -Aktualisiert am

In Leipzig liegt der Gipfelstein der Zugspitze im Tresor – als Geisel für die Spitze des Kilimandscharo. Eine Kunst-Aktion auf den Spuren kolonialistischer Vergangenheit.

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          Der bayerische Ministerpräsident soll dieser Tage eine sinistre Twitter-Nachricht erhalten haben. „Wir haben die Zugspitze. Keine Polizei!“ Die Spitze von Deutschlands höchstem Berg liege in einem Tresor in Leipzig. Das zumindest sagt Bastian Sistig, Mitglied der Künstlergruppe „Para“, die derzeit eine Kunstaktion im Leipziger Grassi-Museum abhält. Es geht um die Zugspitze und den Kiliman­dscharo, um Kolonialismus, Raubgut und Restitution. Der Stein des Anstoßes ist ein Gipfelstein des Kiliman­dscharos. Und wer nun für 20 Euro ein Duplikat dieses Gipfelsteins bestellt, kann erstens die Zugspitze retten und zweitens mithelfen, eine koloniale Untat zu bereinigen. Aber der Reihe nach.

          Im Jahr 2014 war die Autorin dieser Zeilen auf den Kilimandscharo gestiegen und hatte für diesen Reiseteil die kuriose Geschichte des Gipfelsteins recherchiert: Vor 133 Jahren stand der Leipziger Verlegersohn Hans Meyer auf dem Kilimandscharo im heutigen Tansania, damals Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika, und frohlockte: „Mit dem Recht des ersten Ersteigers taufe ich diese bisher namenlose Spitze des Kibo, den höchsten Punkt afrikanischer und deutscher Erde: ‚Kaiser-Wilhelm-Spitze‘.“ Er packte einen Stein vom Gipfel ein und schenkte ihn Kaiser Wilhelm II. Der ließ den Stein im Neuen Palais in Potsdam einbauen. Dort kam er abhanden, die Hintergründe sind unklar. Es gab aber einen zweiten Gipfelstein oder eine zweite Hälfte. Dieser Privatstein Meyers blieb in der Familie, zuletzt bei Wolfgang Benn, einem Urenkel des Leipzigers. Und durch die Reportage in dieser Zeitung kam die Künstlergruppe auf Benn, kontaktierte ihn und erkundigte sich nach dem Stein.

          Schatten der Vergangenheit: Auf dem Weg zur Spitze des Kilimandscharos
          Schatten der Vergangenheit: Auf dem Weg zur Spitze des Kilimandscharos : Bild: Barbara Schaefer

          Benn hatte den Stein 2019 an ein Antiquariat in Österreich verkauft, nachdem er ihn zunächst der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) angeboten hatte. Die hätten aber zu wenig Geld geboten, sagt Sistig. Die Pressestelle bestätigt, dass der Stein der Stiftung angeboten wurde, gegen den Erwerb hätten sowohl denkmalpflegerische und historische Gründe gesprochen, „gerade vor dem Hintergrund des kolonialen Kontextes des Objekts, als auch die Preisvorstellung des Anbieters“. Auch Reinhold Messner habe Interesse bekundet, den Stein für seine Museen anzukaufen, sagt Sistig. „Para“-Mitglieder fuhren zum Antiquariat Kainbacher in Baden bei Wien, das den Stein und den Meyer-Nachlass von Benn gekauft hatte. „Der Antiquar wollte das auf dem freien Markt verkaufen, wir haben lange verhandelt.“ Ursprünglich habe er 250 000 Euro für diesen Meyer’schen Stein sowie Briefe aus dem Nachlass haben wollen. „Wir konnten ihn davon überzeugen, ihn uns zum Einkaufspreis zu überlassen, für 40 000 Euro.“ Der Antiquar finde die Idee der Restitution des Gipfelsteins gut und verzichte deshalb auf jeglichen Profit durch den Verkauf. 

          2000 Replikate des Gipfelsteins

          Nun will „Para“ mit „Berge Versetzen“ diesen Stein, die Spitze des Kiliman­dscharos, an Tansania zurückgeben, „die der Kolonialgeograph Hans Meyer 1889 nach Deutschland verschleppt hat“. Laut Sistig hat „Para“ Kontakt aufgenommen mit staatlichen Behörden in Tansania, mit der Zivilgesellschaft und mit Künstlern. Schließlich habe das Kilimanjaro Regional Council eine Empfehlung an die Zentralregierung in Daressalam ausgesprochen, den Stein offiziell zurückzufordern.

          So startete das Kunst-Kollektiv sein „partizipatives Restitutionsprojekt“. Dafür werde „die Bausubstanz des Grassi Museums abgetragen, um aus dem Material Replikate des Steins herzustellen“. Das ethnologische Museum, „das die geraubten Gegenstände kolonisierter Gesellschaften aufbewahrt“, werde zum „Rohstoff der Restitution“. Sprich: Eine Säule – „keine tragende“ – wird zerbröselt, aus dem Material entstehen Abgüsse des Gipfelsteins. Dafür haben sie beim österreichischen Antiquar 3-D-Scans des Steins gemacht und daraus Silikonformen gefertigt. 2000 Stück wollen sie verkaufen, zu je 20 Euro. Und mit dem Erlös das Original kaufen.

          Die Replikate werden zu je 20 Euro verkauft. Mit dem Erlös will man das Original kaufen.
          Die Replikate werden zu je 20 Euro verkauft. Mit dem Erlös will man das Original kaufen. : Bild: PARA

          Damit die Aktion noch mehr Nachdruck bekommt, kam die Zugspitze ins Spiel, heute der höchste Berg Deutschlands, während der Kilimandscharo damals als die höchste Erhebung im Deutschen Kaiserreich galt. Sistig erzählt: „Wir sind zu dritt frühmorgens mit der Seilbahn hochgefahren. Dann sind wir noch das Stück hochgeklettert. Der höchste Punkt ist nicht das Gipfelkreuz, sondern ein Stückchen weiter. Da haben wir mit Hammer und Meißel ein Sechs-Zentimeter-Stück herausgeschlagen. Wir haben uns schlechtes Wetter ausgesucht. Nur zwei Wettertechniker waren oben, die haben sich nicht für uns interessiert. Aber auf der Gipfel-Webcam sind wir zu sehen.“ Die Zugspitzspitze liege im Tresor im Museum. „Klar, das ist Raubgut, aber auf eines mehr kommt es hier im Museum auch nicht an“, sagt Sistig.

          Mit einer Video- und einer Audioinstallation nehmen in Leipzig zwei tansanische Künstlerinnen, Rehema Chachage und Valerie Asiimwe Amani, teil. Sie reflektierten über das Echo der Leere, das durch die koloniale Ausbeutung verursacht wurde. Ihnen sei es besonders wichtig gewesen, „dass der Stein maximal zum Einkaufspreis erworben wird zum Zweck der Rückgabe. Also keine weißen Profite in Europa mehr zu produzieren!“ Am Ende solle der Kili-Stein in ein Museum in Moshi, in der Kilimandscharo-Region. Das gibt es aber noch nicht. „Wir werden den Stein in Österreich abholen. Entweder bringen wir ihn nach Tansania. Oder unsere Kontaktpersonen von dort kommen her und holen ihn ab. Das haben wir noch nicht genau besprochen.“ Und sobald der Kiliman­dscharo-Gipfel den Weg in seine Heimat gefunden hat, bekomme auch die Zugspitze ihren Gipfel wieder. Versprochen.

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