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Wie Camping auf dem Wasser

Von SABINE SCHREIBER
Foto: Sabine Schreiber

11.09.2019 · Kann man sich mit lauter fremden Menschen auf engstem, schwankendem Raum erholen? Ein siebentägiger Segeltörn in der Kvarner Bucht.

W Während der Momente körperlicher Ruhe wird es auch etliche Tage später noch zu spüren sein. Als hätte das Stammhirn Sehnsucht nach der Zeit ständiger Beanspruchung, wird es die Informationen fader Gewöhnlichkeit ignorieren und weiterhin trotzig das Gefühl eines leichten Schaukelns vermelden. Bisweilen werde ich vorsätzlich die Augen schließen, um mich von meinem zerebralen Souvenir zurücktragen zu lassen – weg vom trägen Heimatboden nördlich der Alpen hin auf das vierundvierzig Fuß lange Segelboot „Larisa“. Ein kleines, schaukelndes Stück weiße Trockenheit zwischen hohem Himmel und tiefem Wasser, beides in fast verstörend gradierendem Blau.

Nach zwei Tagen auf dem Schiff frage ich mich, wie es denn ohne die ständige Anwesenheit der kroatischen Küste oder der flachen Mittelmeerinseln wäre, und denke mich ins küstenferne Blauwasser. Der Skipper Michael lacht. Das erste Mal überhaupt auf einem Segelschiff und schon vom offenen Ozean träumen. Er hat ja recht. Eigentlich bin ich ein Kind der Berge und vertraue gewohnheitsmäßig eher der Materie, an der man sich als Mensch festhalten kann, ich genieße einen abwechslungsreichen Horizont und den Blick von oben auf tiefer gelegene Landschaften. Und hatte durchaus gewisse Skrupel, mich für eine Woche auf ein gerade einmal 13,85 Meter langes und 4,18 Meter breites Segelschiff zu begeben, ohne zu wissen, ob ich auch nur im Entferntesten seetauglich sein werde. Zusammen mit vier mir völlig fremden Mitreisenden und einem mir nur via Telefon bekannten Schiffsführer. Und das Ganze auch lediglich zum profanen Zwecke der Erholung. Nicht etwa im Zeichen einer höheren Sache wie Seenotrettung, Ölplattformsabotage oder dergleichen, die eine Crew über alle persönlichen Vorlieben und Befindlichkeiten hinweg einen könnte.

Volle Fahrt voraus unter vollen Segeln Foto: Sabine Schreiber

Sich erholen auf engstem, zudem schwankendem Raum mit fremden Menschen und zeitweise unter Umständen nur spartanischer Möglichkeiten der Körperpflege? Die Skepsis sitzt noch auf der Autofahrt Richtung kroatischer Grenze ungnädig auf dem Beifahrersitz. Als ich bei Rijeka aus dem Tunnel fahre und der Blick sich wenig später von der waghalsig auf Stelzen balancierenden Autobahn die steile und dicht bebaute Küste über Bakar hinweg hinunter auf das knallblaue adriatische Meer stürzen kann, öffne ich ein Autofenster. Auf der Krki most, der Krk-Brücke, die sich in zwei eleganten Bögen vom Festland hinüber auf die Insel ohne Vokal schwingt, öffne ich das zweite Fenster und lasse die mürrische Beifahrerin kurzerhand von einem Windstoß hinauswehen. Komme, was da wolle, von diesem Augenblick an bin ich bereit, mich auf alles einzulassen oder zumindest nicht mehr das Schlimmste zu erwarten.

F.A.Z.-Karte lev.

Komme, was da wolle, von diesem Augenblick an bin ich bereit, mich auf alles einzulassen oder zumindest nicht mehr das Schlimmste zu erwarten. Später am Tag wird mir klar, dass diese Bö, die da derart geisteserfrischend durch meinen Kleinwagen fegte, wohl ein Vorbote der berühmt-berüchtigten Bora, kroatisch Bura, gewesen sein muss. Benannt nach Boreas, dem griechischen Gott der Nordwinde, handelt es sich hierbei um einen vor allem bei Seeleuten gefürchteten ablandigen, kalten Fallwind aus den Bergen. Spezialisten sprächen von einem typischen, katabatischen Wind, wie der kundige Skipper Michael beiläufig erwähnen wird. Und ein istrisches Sprichwort besage: Die Bora komme in Senj auf die Welt, herrsche in Rijeka und stürbe in Triest. Somit ist die Kvarner Bucht, unser anvisiertes Segelrevier, die Bora-Region schlechthin. Der Vorteil: Im Gegensatz zum warmen Föhnwind, der die Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen, Kopfschmerzen und nervösen Leiden quält, ist die Bora bekannt dafür, für Lebhaftigkeit, Unternehmungslust und freudige Stimmung zu sorgen. Schmerzlindernd und ermunternd solle sie überdies sein. Der Nachteil: Auf See hat man ziemlich genau dreißig Minuten Zeit, einen sicheren Liegeplatz zu erreichen, bevor heftige Böen beachtlich hohe Wellenkämme auftürmen, zu Schaum zerpeitschen und schließlich als sichtvernebelnde Dunstwolken fortreißen. Bei den ersten Anzeichen für eine Bora gilt Alarmstufe Rot auf See. Von alldem habe ich keinen blassen Schimmer, als ich auf der kurvigen Straße den Ort Punat mit seinem bekannten Yachthafen ansteuere.


Die Marina Punat ist voll belegt. An vierzehn weit ins Meer hinausragenden Stegen schaukeln Motorboote, Segelschiffe, Katamarane. Dicht an dicht drängen sich die blitzblank geschrubbten, in der Hauptsache weiß leuchtenden Schönheiten, das dunkle Hafenwasser gurgelt, und die Masten tanzen wie Mikadostäbe hoch über den Köpfen in fröhlicher Aufbruchsstimmung schwelgender Urlauber. Auf Handkarren werden Lebensmittel herbeigeschafft, Bierreserven gebunkert, Gepäck verladen. Schwatzende Teenager marschieren, in Grüppchen die diesjährige Strandmode präsentierend, die Kaianlage entlang zu den überaus luxuriösen Sanitäranlagen der Marina, um vermutlich die letzten Schönheitskorrekturen vorzunehmen, bevor sie in See stechen. Damen in wehendem Sommerkrepp flanieren zum Restaurant, und sonnenbebrillte Marineros radeln mit braungebrannten, muskelbepackten Oberarmen von Einsatzort zu Einsatzort.

Ein wenig fühle ich mich an Campingplatzalltag erinnert, nur, dass statt Zelten und Wohnmobilen sich hier nautische Gefährte um die infrastrukturellen Angebote versammeln. Und mein erster Eindruck wird sich auch die nächsten Tage immer wiederbestätigen. Ein Segeltörn, so wie ich ihn gebucht habe, ähnelt tatsächlich im positivsten Sinne einer Art Campingurlaub. Allerdings versehen mit einer weiteren Dimension an Freiheitsgefühl, etwas mehr Luxus und natürlich viel weniger Bodenhaftung.

Sie heißen Darrick, Hans, Anne und Lukas. Hans hat schon viele Seemeilen auf dem Buckel, Darrick ist ein nautisch begeisterter Junggeselle, der gerade an seinem Segelschein arbeitet, und Anne und Lukas sind ein Paar, in den Neunzigern geboren und interessiert an einem etwas anderen Urlaub. Rasch stellt sich heraus, dass wir hinsichtlich Alter, Herkunft, beruflichem Background und auch vielerlei anderen Faktoren unterschiedlicher nicht sein könnten. Wir werden uns zusammen mit dem Skipper für sieben Tage und sieben Nächte vier Kabinen, zwei winzige Bordtoiletten, eine davon mit Dusche, eine Messe mit Pantry – also einem Aufenthaltsraum unter Deck mit kleiner Küchenzeile – sowie die rund siebenundfünfzig Quadratmeter des Oberdecks teilen. Doch spätestens als ich eine Nachrichtenmeldung über die Zustände auf der „Sea-Watch 3“ lese, auf der sich fünfzig Personen eine ähnliche Fläche, ein paar Dixie-Klos und kaum Frischwasser für unbestimmte Zeit teilen müssen, empfinde ich meinen Urlaub auf der weißen Segelyacht „Larisa“ als beinahe unverschämten Luxus.

Wichtiger als der Tacho: der Kompass Foto: Sabine Schreiber

Dieser Eindruck wird wiederum korrigiert, als wir auf unserem Törn der elftgrößten Motoryacht der Welt, die einer Privatperson gehört, begegnen. Man bedenke: Mit sechs Pools, eigenem Kino, Hubschrauberhangar unter Deck und einem flutbaren Dock für ein vierzehn Meter langes Beiboot schafft es die „Ocean Victory“ nicht einmal unter die Top Ten. Das anfänglich aufgeregte Staunen an Bord der „Larisa“ weicht nach und nach einem nachdenklichen Schweigen. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns schon auf dem direkten Rückweg zu unserem Ausgangspunkt und haben in den Tagen auf See und Nächten in naturnahen Buchten festgestellt, wie wenig man eigentlich für zufriedenes Wohlbefinden braucht.

Als ich das erste Mal über die nur aus einem schmalen Brett bestehende Gangway von der Landungsbrücke auf die „Larisa“ balanciere, komme ich mir plötzlich ungeschlacht und hilflos vor. Gleich beim zweiten Schritt an Deck stolpere ich über die Leiste, die am Boden des Ruderstands befestigt ist, um bei starker Krängung – Neigung – des Schiffs dem Steuermann Halt zu geben. Beim Versuch, den Sturz abzufangen, greife ich nach dem nur Landratten Halt versprechenden Rad der Pinne und beginne so meine Zeit an Deck mit einer filmreifen Slapstickeinlage. Mir wird buchstäblich auf einen Schlag bewusst, dass für einen Neuling an Bord jeder Schritt, jede Bewegung und jeder Handgriff anfangs wohlüberlegt sein will. Wo kann ich mich wann gefahrlos aufhalten, welches Seil, welche Stange, welcher Griff eignet sich zum Festhalten, und auf welche Kräfte muss ich gefasst sein, die sich unter Umständen in bestimmten Situationen entfesseln? Es ist ungewohnt, aber in gewisser Weise auch eine heilsame Erfahrung, sich auf so beschränktem Raum so wenig auszukennen und sich – weit vom Festland entfernt – die Selbstwahrnehmung betreffendes Neuland zu erschließen.

Und nun immer weiter Richtung Horizont
Wenn Segeln eine Kunst ist, sind Segel Kunstwerke
Fehlt nur noch Leonardo DiCaprio
Fotos: Sabine Schreiber

Schnell lerne ich, dass einigermaßen festes Schuhwerk mit rutschfester Sohle an Deck mehr als angebracht ist – allem Barfußwetter zum Trotz. Und will man nicht unfreiwillig von Bord gehen, sollte man immer schön den Körperschwerpunkt zur Schiffsmitte hin orientieren, sich niemals an der niederen, nur aus einem Stahlseil bestehenden Reling festhalten, niemals im Stehen die Fische füttern, sondern bitte immer im Knien.

Letzteres bleibt mir Gott sei Dank erspart, aller Befürchtung zum Trotz bin ich keineswegs anfällig für die Seekrankheit. Ganz im Gegenteil: Das Schlingern, Rollen, Schaukeln und Tanzen des Schiffs löst in mir regelrecht euphorische Schübe aus. Sobald wir am ersten Tag aus der Marina Punat auslaufen und gleich zu Beginn hübsch hart am Wind segeln können, macht sich in mir ein kindliches Vergnügen breit. Mit dem nötigen Respekt vor etwaigen Unfallquellen genieße ich das steile Kragen des Schiffs, das Kippen des Horizonts, das ständige Ausgleichen der in turbulentem Rhythmus auf den Körper einwirkenden Schiffsbewegungen.

Fast schnurgerade nehmen wir Kurs auf die Insel Cres, an deren Südspitze sich eine versteckte und kaum wahrgenommene Bucht fjordartig ins Festland kerbt. Auf dem offenen Meer zwischen Krk und Cres zieht eine fast baugleiche Segelyacht an der „Larisa“ vorbei: Von der „Estrella“ winken johlend zwei Familien herüber. Unsere Flottille hat sich gefunden. Die nächsten Tage werden sich die beiden Skipper Michael und Stefan über Routen und Ziele absprechen. Wir werden bisweilen gemeinsam ankern oder sogar „im Päckchen liegen“, was heißt, sich einen Anker oder eine Boje zu teilen, die beiden Schiffe Bauch an Bauch leicht versetzt miteinander zu vertäuen, die empfindlichen Rümpfe durch von der Reling baumelnde, weiche Fender – Puffer – geschützt und immer darauf bedacht, dass sich auch bei stärkerem Seegang die Salings, also die Querverstrebungen am Mast, nicht touchieren.

Wenn „Larisa“ und „Estrella“ „im Päckchen liegen“, wird die Party am Abend zum doppelten Fest. Foto: Archiv

Während die gemeinsam verbrachten Abendstunden bei Rotwein und Gesprächen herrlich unaufgeregt verlaufen werden, gewinnt in dem Moment des Aufeinandertreffens auf offener See der seglerische Ehrgeiz die Oberhand. Das Ziel ist bekannt, die Brise steif, der Konkurrent im Blickfeld und die Regatta eröffnet. Nun zeigt sich das erste Mal, dass Michael Dicke seiner Berufung als Skipper nicht allein deshalb gefolgt ist, weil er ein souveräner, aufmerksamer Reiseführer mit nautischen Kenntnissen ist. In Windeseile und mit geistesgegenwärtiger Präzision spannt er Leinen, kurbelt an Winschen, erteilt Befehle an die etwas kundigeren Crewmitglieder unter uns, ändert geringfügig den Kurs und peitscht damit die schlanke „Larisa“ der „Estrella“ hinterher. Doch eine kleine Unachtsamkeit einer seiner Urlaubsmatrosen lässt uns zurückfallen, und zu allem Überfluss flaut der Wind ab. Michael knurrt ein Seebärenknurren, kneift die lichtblauen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und späht der mit geblähten Segeln vorausfahrenden „Estrella“ hinterher. Doch gleich darauf entspannt sich seine Miene, und die von enttäuschtem Seemannsstolz zeugenden Fältchen der wettergegerbten Augenpartie weichen einem schalkhaften Lächeln. Zwar hat die „Estrella“ den besseren Wind, doch kennt er den besseren Kurs. Küstennah und siegesgewiss kürzt die „Larisa“ ab und kommt mit erheblichem Vorsprung als Erste in der verschlafenen Bucht Pogana im Süden der Insel Cres an. Anne und Lukas halten sich stumm im Arm, Darrick überprüft unter Deck noch einmal seinen händisch auf Kartenmaterial errechneten Kurs, Michael notiert etwas im Logbuch, und Hans sitzt und lächelt still in sich hinein, wie so oft dieser Tage.

Wenn man kein Land mehr sieht, hilft immer noch die Karte
Gleich wird’s heiß
Fotos: Sabine Schreiber

Das Wasser irisiert in mannigfachen Türkisfärbungen. Der Grund scheint durch das kristallklare Wasser zum Greifen nah, und Schwärme aus kleinen, silbrigen Fischen blinken im Sonnenlicht. Vom Festland weht der süßlich-harzige Geruch der Macchia herüber. Wacholder, Ginster, Salbei sättigen die warme Luft mit ihrem mediterranen Aroma. Nur wenige andere Schiffe liegen hier an der äußersten Spitze der – zusammen mit dem flächenmäßig identischen Eiland Krk – größten Insel der Adria. Hierher kommt niemand mit einem Bedürfnis nach greller Attraktion und urbaner Unterhaltung. Eine wohlige Schläfrigkeit kriecht aus dem nahe gelegenen Steineichenwald und bringt jede Fahrigkeit und Nervosität zum Erliegen. Sogar die Kinder vom inzwischen angekommenen Schwesterboot „Estrella“ blinzeln, von der stillen Exotik dieser Bucht bezaubert, in den wolkenlosen Himmel und verbringen den Rest des Nachmittags damit, versonnen das klare Wasser durch die Hände laufen zu lassen und auf den Meeresgrund hinabzuschauen. Als ob sie Sorge hätten, die zerbrechliche Schönheit dieser Natur könnte wie eine Seifenblase zerplatzen, stürzen sie sich an diesem Tag nicht wie sonst unermüdlich von der Badeplattform ins Wasser, sondern verleben den Nachmittag still staunend.

Der der Bucht am nächsten gelegene Ort Punta Križa war einmal ein Hirtendorf, in dem sich die Wege der einsam umherziehenden Schäfer kreuzten. Auch die Handvoll Häuser, die sich um ein kleines, direkt am pittoreskenKai gelegenes Restaurant gruppieren, gehören zumindest administrativ zu dieser rund drei Kilometer von der Bucht entfernten Ortschaft. Allerdings seien sie so etwas wie eine separate Republik, lacht die feiste Wirtstochter Anni. An den Tisch der Gäste kam sie mit den Worten: „Ich bin Anni, eure Speisekarte.“ Dann zählte sie in rasantem Tempo die Gerichte des Abends herunter – an jedem der inzwischen gut besetzten Tische in der entsprechenden Sprache. Woher nun bei Sonnenuntergang plötzlich all die Menschen kommen, die das kleine Restaurant bis auf den letzten Winkel füllen, wird ein Rätsel bleiben.

Schnell mal gewendet, sagt der Laie. Der Fachmann spricht von Halse Foto: Sabine Schreiber

Skipper Michael kennt die Wirtsfamilie seit Jahren und freut sich still auf ein Wiedersehen mit Wirtstochter Klara, der Schwester der sprechenden Speisekarte. Die blonde Klara tischt große Platten mit Gemüse und Fleisch auf und wirbelt durch das Lokal, Schwalben nisten direkt über den Gästen, wobei durch geschickt angebrachte Bleche und Verschläge der hübsche Anblick der geflügelten Nachbarn nicht durch unerwünschte Grüße von oben getrübt wird.

Während der Rest der Crews von „Estrella“ und „Larisa“ mit den Dinghis, den kleinen Beibooten unserer Yachten, über das spiegelblanke Wasser der Bucht zurück zu den Schiffen rudern, beschließe ich, die wenigen hundert Meter zu schwimmen. Nur ein paar Schritte vom Lokal entfernt springe ich kopfüber ins Wasser und kraule, mein Reiseglück kaum fassend, durch die sternklare Nacht auf mein sanft schaukelndes Schlafgemach zu.

Ein skeptischer Blick des Skippers auf den Wetterbericht. Vielleicht gibt es die nächsten Tage Bora. Ein vorfreudiges Kribbeln in der Magengegend. Endlich wieder Wind. Nur mit Motorkraft kam die „Larisa“ von Pogana in den Hafen von Veli Lošinj. Dabei wäre der Ort auf der südwestlich von Cres gelegenen Insel Lošinj mit seiner spektakulären Hafeneinfahrt prädestiniert für repräsentative Segelmanöver. Wie die steilen Ränge eines Amphitheaters reihen sich die Gassen und Häuser des Städchens am Hang des Berges Sv. Ivan um die enge Bucht – das ideale Szenario für einen triumphalen Einzug mit gehissten Segeln, um direkt neben den weiß gedeckten Tischen eines noblen Lokals anzulegen. Dass ein unfallfreies Anlege- oder Ablegemanöver mit einer vierundvierzig Fuß langen Segelyacht allerdings nicht unbedingt zu den Dingen zählt, die Hinz und Kunz beherrschen, kann sich jeder denken, der schon einmal Autofahrer beim seitlichen Einparken beobachten konnte.

Alles kein Hexenwerk, meint Skipper Michael. Logik, Gefühl und ein bisschen Übung brauche es, aber alles ist erlernbar. Und schon steht Anne am Ruder, Lukas am Heck, Hans im Bug, und Michael gibt mit ruhiger Stimme an, mit welchen Handgriffen die junge Frau das Schiff längs des Anlegers dirigiert. Allerdings nicht auf dem Präsentierteller in Veli Lošinj. Michael Dicke ist Gentleman und würde nie die sich ihm bietende Gelegenheit nutzen, vorsätzlich einer jungen Frau großspurig zu Hilfe zu eilen und damit giggelnden Geschlechtsgenossen ein despektierliches Schauspiel zum Lunch zu servieren. Im Gegenteil: Er lässt uns geduldig Runde um Runde an einsamen Bojen und abgelegenen Stegen trainieren. In der engen Bucht von Veli Lošinj hingegen widmet er sich dem Ruder, lässt erst spielerisch die Yacht einen anmutigen Bogen beschreiben, um sie dann sanft und ohne störendes Motorjammern elegant längs der Restaurant-Tische am Kai anzulegen. Stolz vertäuen wir unter den anerkennenden Blicken der Restaurantgäste unsere „Larisa“ und gehen an Land.

Wo eine Kaimauer ist, sind die Lokale selten weit Foto: Sabine Schreiber

Im Kessel der Stadt liegt die sommerliche Hitze wie hineingegossenes Metall. Viele Geschäfte schließen mittags und öffnen erst am frühen Abend wieder. Im Eiscafe am Hafen serviert ein schweigsamer Kellner Eiskaffee auf Wunsch mit zwei Kugeln dunklem Schokoladeneis. Das Meeres-Schutzzentrum Plavi Svijet (Blaue Welt) hat sein Zentrum samt Ausstellung nur wenige Schritte von der Eisdiele entfernt und bietet Zuflucht vor derdräuenden Hitze. Schon mancher halbversengte Urlauber soll dort aus Dankbarkeit eine Delfinpatenschaft übernommen haben.

Ein kleiner Wind verhilft uns zu einem majestätischen Auszug unter Segeln aus dem Hafen von Veli Lošinj. Doch schon bald erstirbt die Brise, und ich klettere nach vorne in den Bug, spüre das Vibrieren des Dieselmotors tief im Bauch des Schiffes und hoffe, naiv, wie ich bin, wenigstens auf eine klitzekleine Bora. Der Fahrtwind weht beschwichtigend. Etwa hundert Meter vor uns sehen wir die Flosse und den glänzenden Rücken eines Delphins.

Natürlich besuchen wir Rab. Wir ankern in der Bucht Sveta Fumija in Sichtweite des Klosters Sveta Eufemija und fahren mit dem Taxiboot hinüber, um die Altstadt zu besichtigen. Dem Umstand, dass Michael das Segelrevier genauso gut kennt wie die Preise und Gepflogenheiten, verdanken die Crews der „Larisa“ und der „Estrella“ einen reellen Preis für die Überfahrt. Vor der phantastischen Kulisse von Rab wartet auf den gutgläubigen Urlauber ansonsten natürlich ein Touristennepp nach dem anderen. Schafft man es, den Lockangeboten zu widerstehen und die Augen auf die stille Schönheit der Stadt zu richten, birgt Rab trotz touristischen Tohuwabohus ein unglaubliches Flair.

Und dann Silba. Das kleine Eiland, das sogenannte Tor zu Dalmatien. Es ist die nördlichste der dalmatinischen Inseln, schon seit der Römerzeit bewohnt und zum Zadar-Archipel gehörig. Sie ist das Kleinod unter den Inseln, die uns Michael zeigt. Es gibt keine Autos, nicht einmal Fahrräder. Nur die Müllabfuhr und die Ärztin besitzen Elektrofahrzeuge, und ab und zu tuckert ein historisch anmutender kleiner Traktor daher. Ansonsten liegt die Insel den Menschen wie in einem stillen Dornröschenschlaf zu Füßen. Alles, was hier getan wird, wird anscheinend mit Bedacht getan. Nichts ist auf die Schnelle für Touristen aufgehübscht, vieles auf eine leise Art und Weise erhalten oder instand gesetzt. Ich werde nicht müde, durch die kleinen Gassen zu streifen und über Steinmauern in verwunschene Gärten zu schauen. Dort rastet ein alter Traktor ohne Vorderräder, und daneben schlummert ein altes Hausboot zwischen Malven. Und wo, wenn nicht hier, gibt es eine wundervolle, mit einem eigenartigen, steinernen Monument belegte Legende: die Geschichte von Domenika und Petar. Als mittelloser junger Mann verliebte sich Petar in eine Tochter aus gutem Hause. Um ihrer finanziell würdig zu werden, verdingte er sich viele Jahre auf See und bat sie, auf ihn zu warten. Er versprach ihr, als reicher Kapitän zurückzukommen und ihr einen traumhaften Garten zu schenken, an dessen Rand ein Turm stehen würde, von dem aus sie die gesamte Insel überblicken und schon von weitem sein Schiff erwarten könne. Als er nach mehr als zwei Jahrzehnten tatsächlich betucht zurückkam, hatte seine Jugendliebe längst geheiratet. Doch am Strand traf er ein Mädchen, das aussah wie sie – völlig unberührt von all den Jahren seiner Abwesenheit. Sie verliebten sich ad hocineinander, und so heiratete Petar Domenika, die Tochter seiner ersten großen Liebe, und baute ihr wie versprochen den Turm, den man heute auf Silba noch besteigen kann. Allerdings braucht man eine gewisse Schwindelfreiheit, wenn man die ebenso merkwürdige wie romantische, fünfzehn Meter hohe Toretta erklimmen mag – auch wenn die sich in einer gewagten Spirale hinaufwindende Außentreppe inzwischen ein Geländer hat.

Vier Glockentürme überragen die kroatische Insel Rab Foto: Sabine Schreiber

Die kleine Bora kommt in der Nacht. Die „Larisa“ liegt im kleinen Hafen auf der Ostseite von Silba, fachmännisch vom mürrischen Marinero Velimir vertäut. Trotz geschützten Liegeplatzes rollt das Schiff derart, dass ich in meiner Koje bisweilen hin und her kullere. Die Leinen ächzen, die Fender quietschen, irgendetwas knarrt, schabt, schlägt, klackert, klimpert und dennoch – oder gerade deshalb? – schlafe ich in meiner Bugkabine wie ein im Mutterleib geborgenes Menschlein.

Am nächsten Morgen liegen Meer und Himmel völlig unschuldig und ruhig Seite an Seite, als hätte es nie eine einzige Verwirbelung zwischen den beiden gegeben. Bei Sonnenaufgang tappe ich hinüber zum Sandstrand Sotoriše, kraule eine Runde, genehmige mir später einige Tassen Kaffee und ein noch heißes Süßgebäck im Restoran Silba. Velimir, grimmig wie am Vortag, kann seinen wie eine Rüstung geschürzten Missmut in ziemlich glasklarem Deutsch verlautbaren. Paradoxerweise macht ihn mir gerade seine herbe Art sympathisch. Ich lasse nicht locker, und schließlich erzählt er mir davon, dass das Durchschnittsalter auf Silba angeblich bei neunundsiebzig Jahren liege, im Winter nur wenige hundert Menschen auf der Insel zurückblieben und fremde Investoren ihr Unwesen treiben würden. Zwischen den Zeilen nehme ich seine Liebe zu Silba und eine unüberhörbare Sorge wahr.

„Plastik auf zehn Uhr!“ Ich springe auf die Sitzbank der Plicht, um bessere Sicht auf das Objekt zu bekommen, das Ruder lasse ich dabei keine Sekunde los. Sanft lenke ich nach Backbord und stoppe vorsichtig kursgerecht auf, so dass Darrick mit dem Bootshaken die im Meer wabernde Folie bergen kann. Ein herrlicher Zeitvertreib unterwegs, wenn uns schon der Wind im Stich lässt: Müllbergung in der Adria und Manövrierübung unter Motor in einem. Wir wechseln durch, gewöhnen uns am Steuer immer mehr an die Kräfte, die auf die Yacht wirken, und freuen uns wie Kinder an Ostern, wenn wir eine alte Boje, Plastikfetzen oder eine muschelbesetzte Sonnencremetube erfolgreich aus den Fluten angeln. Uns schelmisch grinsend dazu ermuntert hat: Sporedo Skipper Michael. Auch er hat die reinste Freude daran, mit uns viele wilde Pirouetten um ein Stück im Meer treibenden Abfalls zu ziehen, es einzukreisen und letztendlich dingfest zu machen. Später werden wir herzlich lachen, wenn wir unseren auf einer Navigationsapp auf dem Handy von Hans detailliert aufgezeichneten, teils in wilde Locken gelegten Kurs betrachten.

Arbeit erledigt: die Crews ziehen in die Hafenkneipen, die Boote legen sich schlafen Foto: Sabine Schreiber

Wir lachen viel in diesen sieben Tagen auf See in der Kvarner Bucht. Innerhalb kürzester Zeit wurde aus einer Gruppe von Fremden die Crew der „Larisa“ und final sogar Freunde. Die täglichen Manöver und damit verbundene notwendige Kommunikation, die erforderliche Rücksichtnahme, aber auch die ständig uns umgebende Schönheit dieser Ecke der Welt, das ein oder andere Anleger-Bier und die pädagogisch-geduldige Finesse unseres Skippers generierten eine Woche voller Schatzkistenmomente.

Viel zu plötzlich sitze ich in meinem erschreckend beengenden Kleinwagen und warte an der kroatisch-slowenischen Grenze auf Durchlass. Gerade eben tauchte ich doch noch nach Seeigelskeletten im klaren Wasser an der Nordspitze von Veli Laganj und trank lukullischeLavendel-Limonade in Osor (Cres). Und eigentlich wollte ich doch noch mindestens eine Nacht an Deck schlafen. Wehmütig hänge ich, auf die Passkontrolle wartend, aus meinem Seitenfenster und hoffe, dass keiner der Beamten merkt, wie sehr die Welt in meiner Wahrnehmung noch von einer leichten Dünung geschaukelt wird.

Mitgefahren

Sporedo ist ein kleiner Anbieter für Familien- und Gruppen-Segelreisen. Der Gründer Michael Dicke organisiert ebenso Kojen-Charter-Trips oder wie Exclusivtörns überall auf der Welt. Der eine Woche dauernde Segeltörn (Samstag bis Samstag, Mai bis Mitte Oktober) in der Kvarner Bucht mit Michael als Skipper kostet je nach Saison zwischen 499 und 589 Euro. Hinzu kommen Anreise und Anteil an der Bordkasse, aus der Posten wie Transitlogs, Verpflegung, Hafengebühren und Sprit bezahlt werden. Bei Vollbelegung einer Yacht sind das zwischen 100 und 250 Euro.
Information und Buchung: Sporedo-Segelreisen, Michael Dicke, Durchstraße 71, 44265 Dortmund, Tel.: 0231/7246085, E-Mail: info@sporedo.de, im Internet: www.sporedo.de.

Quelle: F.A.Z.

Veröffentlicht: 09.09.2019 13:10 Uhr