Ausgepackt : Sechzehnmal Ganbei!
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In China stößt jeder mit jedem an, und das nicht nur einmal: Die Trinkrituale auch beim gesetztesten Geschäftsessen sind gefürchtet. Bild: dpa
Man überlebt alles irgendwie. Zur Not auch chinesische Geschäftsessen der Korruptionsbekämpfungsära.
So ungefähr beim ersten oder zweiten oder dritten ausschweifenden Geschäftsessen, das wir in China mit lokalen Tourismusfunktionären absolvierten, erfuhren wir, dass ausschweifende Geschäftsessen ja eigentlich untersagt seien. Das hier sei gar nichts im Vergleich zu früher, bevor Parteichef Xi Jinping beschloss, endlich mit der Korruption aufzuräumen, mit den ewigen Banketten, ohne die in China gar nichts läuft. Die dicken Umschläge will er verbieten, und Zigaretten gönnt er ihnen auch nicht mehr. Allerdings werden in der Zwischenzeit auch fröhlich Dissidenten verhaftet, die gegen die Korruption kämpfen, denn gegen Korruption darf in China nur einer kämpfen, der oberste Korruptionsbekämpfer nämlich, und das ist nun einmal der Parteichef.
Auch wir kämpften, und zwar auf unsere Weise. Wir saßen im Séparée, denn das gilt in China als besonders fein, vor uns türmten sich auf dem gläsernen Drehtisch Platten mit frittierten Bröckchen: Tofubröckchen und Schweinebröckchen, Entenbröckchen, Hühnerbröckchen, Quallenbröckchen, Rinderbröckchen und Kuhmagenbröckchen, dazu Gemüse in salziger brauner Soße, Pilze in salziger brauner Soße und Extraschälchen mit salziger brauner Soße. Also ungefähr das, was wir schon seit Tagen aßen und noch tagelang essen würden. Ausgestattet waren wir für diesen Zweck mit Tellerchen, Schälchen, Stäbchen, einer Teetasse und einem fingerhutkleinen Glas. Zwischendurch kam jemand und füllte Suppe ins Schälchen, dann kam jemand anderes und füllte Tee in die Tasse, und dauernd kam jemand und füllte Schnaps ins Glas.
Anderthalb Stunden Druckbetankung
So ein Geschäftsessen ist in China eine durchritualisierte Angelegenheit. Man trifft sich, setzt sich, isst, trinkt und steht sehr schnell wieder auf. Anderthalb Stunden Druckbetankung. Das klingt harmlos, ist aber ungewohnt. Unterhaltungen etwa sind kaum möglich, da ständig auf irgendetwas angestoßen werden muss. Auch das fluchtartige Verlassen des Raumes, sobald das letzte Gäbelchen das vorletzte Melonenstückchen aufgespießt hat - auch das letzte aufzuspießen wäre unhöflich -, ist eher ungewohnt. Chinesische Geschäftsessen sind kurz, heftig und effizient. Kategorien wie „gemütliches Sitzenbleiben“ existieren nicht. Man ist ja nicht zum Spaß hier.
Also, von vorn: Erst kommen die leichteren Speisen und erste frittierte Bröckchen. Der Funktionär steht auf, drückt seine Freude aus, wir stoßen an, Ganbei! Und das ist das Stichwort, das Glas Kornschnaps ganz auszutrinken. Der Gast steht auf, drückt seine Freude aus, Ganbei! Essen. Zwischendurch ein paarmal Ganbei zum Warmwerden. Dann wird der Fisch aufgetragen, und auf wen der Fischkopf zeigt - meist der Platz gegenüber der Tür -, der muss zweimal Ganbei. Ein bisschen wie Flaschendehen also, nur in verschärfter Variante. Dann muss der gegenüber - mit dem Rücken zur Tür - viermal Ganbei.
Da darf nichts mehr raustropfen
Während des Essens der Hauptgänge ergreift den Tisch dann eine für westliche Gemüter intolerable Unruhe. Erst steht der Gastgeber auf und macht seine Runde. Das heißt, er muss mit jedem Gast zweimal Ganbei, aber richtig, denn das leere Glas gehört demonstrativ geneigt vor sich gehalten, da darf nichts mehr heraustropfen, da muss man schon gründlich zu Werke gehen. Das macht jeder der Gastgeber mit jedem Gast. Dann müssen die Gäste ran und ebenfalls ihre Runde drehen, also wir. Weil wir verweichlichte Langnasen und schlecht im Training sind, wie wir glaubhaft versichern können, dürfen wir ausnahmsweise als Gruppe losziehen und so die zwei Ganbei pro Person weiter reduzieren. Das finden wir wirklich sehr nett, und wir wollten ganz bestimmt auch niemanden beleidigen, Ehrenwort!