Neukaledonien : Die schwierige Liebe zum Stiefmutterland
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Schöner als bei Gaugin Bild: Volker Mehnert
Neukaledonien verweigert sich standhaft dem Postkartenklischee vom Südseeparadies. Die Menschen wissen, dass es eine Illusion ist. Und sie haben genug damit zu tun, ihren Platz in einer postkolonialen Welt zu finden.
Vielleicht sind sie vor mehr als tausend Jahren genau von hier aus losgepaddelt. Vielleicht haben sie mit ihren Einbaumseglern von hier aus Fidschi, Samoa und Tahiti erreicht. Denn diese Bucht mit dem schwarzen Felskoloss, der unmittelbar vor der Küste im Wasser liegt und wie eine brütende Henne aussieht, wäre ein perfekter Ausgangshafen für die melanesischen Ureinwohner und Entdecker gewesen, die sich damals auf die Suche nach neuen Inseln im Pazifik machten. Ein geschützter, geheimnisvoll anmutender Kanal führt vom Ufer aus durch ein Mangrovendickicht in die Lagune, dann vorbei am dräuenden Felsen zum Korallenriff und schließlich hinaus auf den offenen Ozean.
Die melanesischen Schulkinder von Hienghène, die heute mit ihren robusten Kunststoffkajaks hier unterwegs sind, paddeln mit Begeisterung durch die Mangroven und stemmen sich am Rand der Lagune mit aller Kraft gegen die heranrollenden Wellen. Aber sie haben keine entdeckerischen Ambitionen, obwohl für sie das Kajakfahren nicht nur ein Sport ist, sondern auch eine Reminiszenz an die navigatorischen Leistungen ihrer Vorfahren, die lange vor Magellan und James Cook die Inselwelt Ozeaniens erkundeten.
Den türkisen Ozean im Blick
Die große Seefahrt haben die Kanaks, wie sich die Melanesier von Neukaledonien selbst nennen, längst aufgegeben. Jetzt leben sie in "tribus", kleinen Stämmen und Clans, entlang der Küste und im Landesinneren. Ihre Hütten und Häuser liegen versteckt im Regenwald, in einer bergigen Landschaft, die wild und kultiviert zugleich ist. Mitten in einem Dschungel aus üppigen Bambushainen, Palmen und Farnen bauen die Familien auf kleinen Parzellen Yamswurzeln, Süßkartoffeln, Bananen, Kokosnüsse, Pampelmusen, Apfelsinen und Mangos an. Die wenigen Straßen im Zentrum und im Norden von Neukaledonien schlängeln sich durch die Berge und an der Küste entlang, und hinter dem Grün kommt immer wieder das Blau und Türkis des Ozeans ins Blickfeld. Die tropische Vegetation wuchert buchstäblich ins Meer hinein und lässt nur selten Platz für einen schmalen Strand. Palmen und dichtes Buschwerk stehen bis zur Flutlinie, Mangroven und andere salzwasserresistente Pflanzen wachsen sogar im seichten Wasser der Lagune.
In der großen Einsamkeit, die sich jenseits der neukaledonischen Hauptstadt Nouméa ausbreitet, bestehen die vereinzelten Dörfer höchstens aus ein paar Häusern entlang der Durchgangsstraße. Die meisten Orte aber, die auf der Karte eingezeichnet sind, existieren nur als verstreute Urwaldsiedlungen. Dass hier Menschen leben, merkt man von der Straße aus nur an den improvisierten Obst- und Gemüseständen, die hier und da aufgebaut sind und an denen die Einheimischen auf durchreisende Kunden warten, die freilich nur selten vorbeikommen.
Frankreich in der Südsee
Da außerhalb von Nouméa kaum Hotels existieren, quartiert sich der Reisende auf dem Weg durch Grand Terre, die vierhundert Kilometer lange und sechzig Kilometer breite Hauptinsel Neukaledoniens, in kleinen Privatunterkünften oder Familienpensionen ein, die von Melanesiern oder auch von Caldoches geführt werden, jenen in Neukaledonien geborenen französischstämmigen Siedlern, die vor allem im Westen der Insel große Landgüter besitzen. Dort kommt das Gespräch fast unvermeidlich auf die politische Situation im Land, und so wird der Besucher schnell vertraut mit den Problemen einer spätkolonialen Gesellschaft, wie sie Frankreich in Neukaledonien verwaltet.