Guatemala : Latin Lava
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Faszinierendes Naturschauspiel: Gewitterblitze beim Vulkanausbruch Bild: picture-alliance / dpa
Ein Doktor besteigt seit vierzig Jahren den Vulkan Pacaya in Guatemala. Seine Liebe kann er bis heute kaum in Worte fassen: „Una adiccion“, ruft er, eine Sucht! Alfredo MacKenneys „Pacaya-Aufstieg Nr. 1081“.
Als Alfredo MacKenney an jenem Abend in die Stadt zurückkehrte, war er voller Ruß. Er hatte einen Blick, als habe er die Muttergottes persönlich getroffen. Wenige Stunden zuvor war der Chirurg und Freizeit-Geologe zu einer Tour auf den Pacaya aufgebrochen, den Vulkan am Rand seiner Heimatstadt Guatemala City.
Der Pacaya hatte sich fast ein Jahrhundert lang im friedlichen Dämmerschlaf befunden. Es war der 11. Juli 1965. Daß der Vulkan ausgerechnet bei seinem Aufstieg die Aktivität wieder aufnahm, war nicht Teil von MacKenneys Plan. Unten angekommen, stürzte er sich über sein Tagebuch und zeichnete eine Felsspalte, aus der eine Lavafontäne sprudelt.
Eine göttliche Macht
Höher als er selbst - und nur wenige Schritte entfernt. „Ich habe eine Geburt miterlebt“, notierte er zittrig. „Man ist danach nicht mehr der, der man war.“ Die Guatemalteken gerieten beim Anblick der schwellenden Rauchsäule über dem Pacaya in Aufregung. Viele vermuteten hinter dem Ereignis eine göttliche Macht und beteten für die Rettung der Stadt. MacKenney erholte sich langsam von dem Schreck.
Eine Woche nach seinem ersten Aufstieg klemmte er sein Skizzenbuch und eine Fotokamera unter den Arm und stieg wieder ins Auto. „Ich muß sehen, wie es weitergegangen ist“, sagte er seinem entsetzten Nachbarn. „Der Ausbruch wird vermutlich noch zwei, drei Monate dauern. Ich will ihn vollständig dokumentieren, aus der Nähe.“
„Una adiccion“
An einem Tag im Frühjahr 2005 ist der Himmel wolkenlos wie damals. MacKenney blinzelt unter einem sandfarbenen Hut hervor. „Bin ein bißchen langsam geworden“, sagt er verschämt. Im Rucksack hat der Doktor, 73 Jahre alt und längst ergraut, sein Skizzenbüchlein: „Pacaya-Aufstieg Nr. 1081“, hat er notiert.
„Alle zwei Wochen ein Aufstieg, vierzig Jahre lang.“ Bei seiner tausendsten Expedition vor knapp zwei Jahren waren sämtliche einheimischen Zeitungen und Fernsehsender dabei. Die Liebe des Doktors: Sie in Worte zu fassen ist ihm damals wie heute völlig unmöglich. „Una adiccion“, ruft er und hebt die knochigen Schultern, eine Sucht!
Milchig weiße Dampfsäulen
Nachdem dem Pionier in vierzig Jahren nichts passiert ist, wagen sich heute auch Reiseveranstalter mit Wandergruppen an den feurigen, unermüdlich speienden Schlund Pacayas. Kürzlich steuerte MacKenney sein Wissen bei, um aus dem Pacaya-Areal einen Nationalpark zu machen, mit Sicherheitsschildern, Aufpassern und befestigten Wegen. Einer der Pacaya-Gipfel trägt seinen Namen. Das Forschungsinstitut Smithsonian in Washington hat ihn so getauft. „Der Doktor MacKenney“, kreischen die Schulmädchen, die sich auf dem lehmigen Pfad vorbeidrängeln.
Sabroso findet der Doktor die Luft heute. Köstlich. Eine schwache Brise verwischt die milchig weißen Dampfsäulen, die aus dem Tal aufsteigen. 1500 Meter tiefe heiße Quellen liegen dort, die die umliegenden Dörfer mit Elektrizität versorgen. In der Ferne ist der kahle braune Kegel des Pacaya zu sehen. Daneben erheben sich aus dem Dunst: die Vulkane Fuego, Agua, Acatenango.
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