Georgien : Kaukasischer Käsepfannkuchen
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Vier Wörter bestimmen die georgische Sprache. "Gamardshobat" - Guten Tag; "Gamsachurdia" - der Name eines Dichtersohnes, der zum Diktator wurde und das Land durch Bürgerkrieg ins Unglück stürzte; "Gaumardschos" - Prost; und Chatschapuri - das georgische Leibgericht.
Vier Wörter bestimmen die georgische Sprache. "Gamardshobat" - Guten Tag; "Gamsachurdia" - der Name eines Dichtersohnes, der zum Diktator wurde und das Land durch Bürgerkrieg ins Unglück stürzte; "Gaumardschos" - Prost; und Chatschapuri - das georgische Leibgericht. Die ersten drei Wörter mag man schnell wieder vergessen. Den vierten Begriff hingegen vergißt man nie.
Für die Zubereitung von Chatschapuri gibt es ungefähr so viele Rezepte, wie es in der Presse des Landes tägliche Gerüchte um Ränke und Intrigen gibt. Viele also. Denn so wie die Verköstigung mit Chatschapuri ein tiefgeorgisches Bedürfnis ist, so gehört die Verbreitung von hauptsächlich politischen Verschwörungstheorien genuin zur georgischen Mentalität. Meist wird beides verbunden: der Biß in die warme Köstlichkeit mit den neuesten Erzählungen über Korruption in der Regierung, die jüngsten Schreckensmeldungen über eine drohende Eskalation mit dem Abwischen der letzten Krümel aus den Mundwinkeln. Wann immer man in Georgien Präsidenten stürzte, Systeme veränderte, Kriege führte oder das Auseinanderbrechen des Territoriums beklagte, es geschah mit einem Mundvoll Chatschapuri und den Resten von Käsefäden am Kinn.
Männer sind Machos
Profan gesagt ist Chatschapuri eine Teigmasse, die mit warmem Käse gefüllt wird. Die Teigmasse besteht aus Blätter- oder Hefeteig, wird im ersten Fall wie deutsche Plundertaschen im Viereck ausgerollt und dann zur Mitte hin von allen Ecken gefaltet. Der Hefeteig wird zu einem Rund geformt wie ein Pfannkuchen, anschließend gibt man Käse darauf, schlägt die Ränder über und rollt das Ganze aufs neue aus. Diese Definition jedoch ist so vereinfacht, als würde man behaupten, Gedichte seien aufeinanderfolgende Zeilen, die sich reimen und einen Rhythmus einhalten.
Die Zubereitung von Chatschapuri ist Frauensache wie auch die anderen Angelegenheiten der Küche. Über georgische Männer kann man viel Gutes sagen, trotzdem sind sie Machos vor dem Herrn. Es wäre ihnen verziehen, wenn sie dann wenigstens die bereiteten Chatschapuri mit Manieren äßen. Leider gelingt auch dieses nur wenigen, und sollten sie ihre Frauen so anfassen wie diese Teigstücke, dann kann man nur sagen Gute Nacht, Marie beziehungsweise Gute Nacht, Thea, Pikria, Essma und Lehla.
Eine langhaarige Schönheit
Da die warme Sünde schon zum Frühstück gegessen wird, stehen die Frauen in konservativeren Haushalten und ländlichen Gegenden mit den Hühnern auf und machen sich an die Arbeit. In den Städten hat man es leichter: Fast jeder Tante- Emma-Laden verkauft heiße Chatschapuri zu auch für Sozialhilfeempfänger freundlichen Preisen. Weil es in Georgien aber keine Sozialhilfe gibt, bleibt diese Angabe vage und kann nur dadurch präzisiert werden, daß man sagt, auch die alte Frau, die von morgens um acht bis abends um acht für umgerechnet fünfzehn Cent ihre Tüten mit Sonnenblumenkernen verkauft, wird am Abend in der Lage sein, sich den hungrigen Bauch mit mehr als einem Käsepfannkuchen zu füllen.
Natürlich sind die Qualitätsunterschiede erheblich, und wer in der Hauptstadt etwas auf sich hält, kauft seine Chatschapuri nicht irgendwo. Einheimische behaupten, dort, wo die Hauptstraße Rustaweli auf die Melikischwili Kucha stößt, vis-à- vis dem ehemaligen Flüchtlingshotel Iweria, gäbe es die besten Teigtaschen. Bei näherer Recherche allerdings stellt sich heraus, daß dieser Ort von jungen, männlichen Georgiern bevorzugt wird, die der dunkeläugigen, langhaarigen Schönheit hinter der kleinen Scheibe verfallen sind. Die Teigtaschen sind mittelmäßig.
Aufsauger für Alkohol
Dennoch hat dieser Stand aufgrund seiner Lage Beachtung verdient. Nur wenige Schritte weiter konkurriert McDonald's um hungrige Morgen-, Mittag- und Nachtschwärmer. Dazwischen, mit Blick auf beide Schnelleßetablissements, steht steinern der Dichter Shota Rustaweli, der einst den "Recken im Tigerfell" schrieb, in dem von Chatschapuri noch nicht die Rede ist, und schaut drein wie ein Schiedsrichter in diesem Duell zwischen kulturimmanenter und kulturfremder Kulinarik.