Ballonfahrt : Vom Winde verweht
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Buntes Treiben mit über 130 Teilnehmern in Chateau d'Oex Bild: KEYSTONE
Château-d'Oex im schweizerischen Waadtland ist das europäische Mekka der Heißluftballonfahrer. Und daß von dort aus die erste Weltumrundung im Ballon gelang, macht es für Fans nur noch interessanter.
Schon am Boden ist es aufregend: Mit Hilfe eines Ventilators wird der Ballon prall mit Luft gefüllt und richtet sich auf. Der Pilot führt die letzten Kontrollen durch, dann dürfen die Passagiere in den Korb steigen und sich zwischen die Propangasflaschen zwängen. Für einen Augenblick befinden sich Ballon und Korb, die zusammen nun fast vier Tonnen wiegen, in einem scheinbar gewichtslosen Zustand zwischen Stehen und Schweben. Endlich kommt das befreiende "allez!". Der Heißluftbrenner wird angestellt, und der Ballon steigt auf. Fast unmerklich gewinnt er an Höhe. Die anfängliche Anspannung weicht schnell einer schlichten Faszination. Einen Moment lang fühlt man sich wie auf einem Balkon, dann wie auf einem Aussichtsturm und schließlich tatsächlich wie in einem schwebenden Korb. Die Welt dort unten wird kleiner und kleiner: die verschneiten Dächer der Häuser, die schwarzen Linien der Straßen, der Zug, der gerade am Bahnhof hält. Nur die Berge ringsum schrumpfen nicht, im Gegenteil: Sie entfalten erst jetzt ihre ganze Majestät. Es herrscht eine befremdliche Stille, denn der Ballonfahrer kämpft nicht gegen Luftströmung und Natur an, er läßt sich tragen. Ohne Motor und ohne Ruder wird sein Fahrzeug vom Winde verweht.
Ballonfahren ist ein elementares Erlebnis. Man fühlt noch heute bei jedem Start die gleiche Unruhe, die Joseph de Montgolfier vor mehr als zweihundert Jahren seinem Bruder Etienne weiterzugeben suchte: "Stelle unverzüglich Vorräte an Taft und Tauen bereit, und ich werde Dir eines der erstaunlichsten Dinge der Welt zeigen." Das ominöse Versprechen wurde am 4. Juni 1783 eingelöst, als in Annonay der erste Ballon auf hundertachtzig Meter Höhe aufstieg und zwei Kilometer weit schwebte. Die Welt nahm Kenntnis vom neu angebrochenen Zeitalter der Fliegerei, als die Brüder Montgolfier den unbemannten Aufstieg eines Ballons im Herbst desselben Jahres in Versailles wiederholten - vor den Augen von Ludwig XVI., Marie-Antoinette und hunderttausend Zuschauern. Kurz darauf stieg der erste Mensch mit in den Korb und erhob sich in die Lüfte.
Ohne Zwischenstopp in die Wüste geschickt
Die Ära der Pioniere ist zwar schon lange vorbei, doch hat sich an der Technik seither nur wenig geändert. "Der Heißluftballon", schreibt der Schweizer Ballonfahrer Bertrand Piccard, "erinnert mit seinem Weidenkorb und seiner gewaltigen Hülle an vergangene Zeiten, als hätte er sich aus den Seiten eines Geschichtsbuches gelöst und wäre in seiner ganzen Pracht davongeflogen."
Château-d'Oex im schweizerischen Kanton Waadtland ist das alpine Zentrum und das europäische Mekka der Ballonpiloten. Das umgebende Saanental bietet ein perfektes Mikroklima fürs Ballonfliegen: viele Sonnentage, rundum Gebirgszüge, die vor extremen Winden schützen, außerdem genug Raum für ungehinderte Aufstiege, Manöver und Landungen. Vor allem aber wird der vorherrschende Westwind von der eigentümlichen Konstellation der Berge so aufgesplittert, daß sich in wechselnden Höhenlagen oft unterschiedliche Windrichtungen ergeben. Die Piloten können also innerhalb des Tals hin und her rangieren und mit den Luftströmungen spielen. Deshalb wählten auch Bertrand Piccard und sein britischer Kopilot Brian Jones Château-d'Oex als Ausgangspunkt für die erste erfolgreiche Weltumrundung im Heißluftballon. Am 1. März 1999 starteten sie dort, um nach 19 Tagen, 21 Stunden und 47 Minuten ohne Zwischenhalt in der ägyptischen Wüste zu landen.
In Château-d'Oex wird das ganze Jahr über Ballon gefahren, doch während der kalten Jahreszeit zwischen November und April trifft man auf die besten Bedingungen. Ballonfahrer mögen nämlich keine Thermik, sie würde das Gefährt unkontrolliert in die Höhe ziehen. Deshalb kann im Sommer nur zwei Stunden nach Sonnenaufgang und zwei Stunden vor Sonnenuntergang gefahren werden. Im Winter dagegen gibt es auch tagsüber keine aufsteigenden Luftströme, so daß man bei schönem Wetter den ganzen Tag lang sicher in der Luft bleiben kann. Zweieinhalbtausend Meter, manchmal auch bis zu viertausend Meter hoch steigen die Ballons. In der Ferne sind der Eiger, das Matterhorn und schließlich sogar der Montblanc zu erkennen, und der kleine Mensch im Weidenkorb darf sich plötzlich mit Europas höchstem Gipfel messen. Trotz winterlicher Temperaturen friert man nicht, der Heißluftbrenner sorgt in kurzen Abständen für Wärme, und außerdem fährt man ja mit dem Wind.
Die Kuh in den Himmel gehoben
Am schönsten ist Ballonfahren, wenn gleichzeitig auch andere Körbe durch die Lüfte schweben. Während der Internationalen Heißluftballonwoche Ende Januar in Château-d'Oex hängen am Schweizer Alpenhimmel Dutzende knallbunter Ballons, nicht nur in der klassisch runden Form, sondern auch in sogenannten "special shapes": Sonderanfertigungen in Gestalt einer Kuh, einer Mickymaus oder einer Whiskyflasche. Das farbenfrohe Ballett am Winterhimmel ist ein Spektakel für Piloten und Zuschauer gleichermaßen. Und wenn die Wetterbedingungen einmal besonders günstig sind, dann schaffen die besten Navigatoren bei Langstreckenwettbewerben sogar eine vollständige Alpenüberquerung von der Westschweiz hinüber nach Südtirol.
Irgendwo und irgendwann jedoch muß jeder Abschied nehmen aus den Lüften. Der Pilot sucht nach einem geeigneten Landeplatz, wo der Korb weich und ungehindert im Schnee aufsetzen kann. Kleine Luftströmungen werden ausgenutzt, dann erfolgt die Landung auf einem freien Feld, möglichst in der Nähe einer Straße. Jetzt können die Rückholer, die der Ballonfahrer liebevoll und respektlos "Erdferkel" nennt, informiert werden. Wenn sie am Landeplatz, der kaum im voraus zu kalkulieren ist, eintreffen, erfolgt der anstrengendste Teil des Erlebnisses: das Einholen der Luftblase und das Verladen von Korb und Ballon. Die Belohnung für diesen Einsatz konnte man schon vorher am Himmel genießen.