Ecuadorianische Spitzenküche : Das Wunder von Quito
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Teller im Restaurant Urko Bild: Urko
Ecuador galt lange genug als Bananenrepublik. Jetzt entdecken junge Köche den Reichtum von Natur und Kultur und schenken dem Land eine neue Identität.
Beim Verlassen der Jesuitenkirche, eines der mit unfassbaren Mengen an Gold ausgekleideten Gotteshäuser, die die Spanier auf den Ruinen des Inkareiches hinterließen, weht ein schriller Klagegesang durch die Gasse und setzt die dünne, weiche Abendluft des Hochlands unter Strom. Man kann nicht anders als ihm zu folgen. Auf einem Poller sitzt, die Hände im Schoß, ein vielleicht siebenjähriger Junge und schmettert aus den Tiefen seiner Lunge ein Mariachi-Lied, das wohl seine Seele, aber sein Kopf noch nicht verstehen kann: „La de la Mochila Azul“ des Mexikaners Pedrito Fernández. Es handelt von einem Jungen, der die Aufmerksamkeit eines verehrten Mädchens nicht erlangt, weil er nicht lesen kann. Mit einem Nicken bedankt sich der Künstler für Applaus und Pennies und trottet ermattet zum Gemüsestand der Eltern. Über der Kathedrale von Quito schwebt im Blau der Dämmerung der Mond. Eine Kichwa-Frau bietet Schals an, wunderschön traditionell gefärbt, zwei für fünf Dollar – seit der Inflation Ende der 1990er Jahre wird in Ecuador mit US-Dollar gezahlt.
„Schaut, eine neue Kunstinstallation.“ Der Künstler Miguel Alvear zeigt auf den Stacheldraht, der den Säulengang des Regierungspalastes abschirmt. Ein sardonischer Scherz. Seit den gewaltsamen Ausschreitungen im Oktober wegen der gestiegenen Preise für Benzin und Nahverkehr ist der Respekt vor der Regierung, die man, ob links oder rechts, nicht anders als korrupt, autoritär und unfähig kennt, noch tiefer gesunken. Leider auch die Zahl der Touristen, wie Hotelmanager erzählen. Dabei mehren sich gerade - neben Galápagos, Amazonien, Palmenstränden, Bergregenwald – die Gründe, nach Ecuador zu reisen. Und zwar genau hier, in der Hauptstadt Quito, die für ausgefallene kulinarische Vergnügen wie gegrilltes Meerschweinchen bekannt ist und seit Jüngstem das Zeug hat, zum neuen Geheimtipp für biologisch vielfältiges, ökologisch bewusstes und umwerfend gut schmeckendes Essen zu werden.
Miguel Alvear ist in Quito aufgewachsen und erinnert sich, wie in seiner Kindheit die Jesuitenkirche La Compañía, ein Vorzeigewerk der maurische, flämische, italienische und indigene Einflüsse verschmelzenden „Schule von Quito“, nach Pisse stank, weil sie so dunkel war, dass sie die öffentliche Toilette ersetzte. 1978 wurde die Altstadt mit der Krakaus als erste von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Nirgends sonst in Lateinamerika haben sich so viele Schätze der Kolonialzeit auf so engem Raum erhalten. In seiner Kindheit, erzählt Alvear, hätten Hunderte Familien und Handwerker hier gelebt, jetzt seien noch vier reiche Familien übrig.
Drüben leuchten, neben dem Sitz des Erzbischofs, die Fenster des Restaurants „Pekaraz“, wo wir zu Mittag aßen, mit Blick auf die Kathedrale und den Berg Panecillo. Wir hatten eine sagenhafte Locro, die typische Suppe der Andenstadt aus Mais und Kartoffeln (in Ecuador gibt es 351 Kartoffelsorten), herrlich luftigen Truthahn mit Pfirsichsoße und einen aromatischen Salat aus Gurke und Tomaten, der von Koriander und Zwiebeln aufgefrischt war. Eine besonders fruchtige Ají, die Chilisoße, mit Popcorn. Eine Schokotarte zum Nachtisch, frischer Guavensaft. Alles für 11,99. Am Nebentisch eine Gruppe aus dem Regierungspalast. Man kann in Quito für wenig Geld enorm gut essen. Und ab fünfzig Euro herausragend.
Vor fünfzehn Jahren eröffnete Jan Niedrau, einst Vermögensverwalter in Hamburg, das „Zazu“, das immer noch als erste Adresse gilt. Höhepunkt seines Degustationsmenüs ist die Variation eines Nationalgerichts, der Ceviche. Der sonst dicht gestopfte Fischcocktail kommt hier als rosa Gelée mit feinen Fischstreifen, Maisbröseln, Stupsern von leuchtender Quitorangen-Emulsion und einem Faden Eukalyptusblatt. Im „Zazu“ kann man auch die teuerste Schokolade der Welt probieren, To’ak, für die der Österreicher Carl Schweizer und der Amerikaner Jerry Toth die ältesten Bäume der edelsten Kakaosorte Nacional aufspürten und neu züchten ließen, um sie in Laphroaig-Fässern oder im duftenden Sägemehl des Palo-Santo-Holzes reifen zu lassen.