Durch Teneriffas Hinterland : Neues Leben am Vulkan
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Der Nationalpark rund um den Vulkan Teide ist ein ruhiges Eckchen auf Teneriffa. Daran wird sich wohl auch durch die Vulkanrouten nichts ändern. Bild: Sven Weniger
Dem All-inclusive-Tourismus, der lokalen Betrieben schadet, muss etwas entgegengesetzt werden. Auf Teneriffa werden fünf Routen eingeweiht, die einladen, Restaurants, Pensionen und Erzeuger zu besuchen.
Damián springt. Wie eine Gemse hüpft er die Felsen hinab, sucht kurz Tritt, und schon ist er wieder ein paar Meter tiefer. Das sieht lustig aus, besonders von ferne, wenn er in null Komma nichts den Steilhang zum Mirador de Baracán herabkommt, für den Wanderer eine halbe Stunde brauchen. Wenn sie es denn überhaupt schaffen. Sogar Golfo hat Schwierigkeiten hinterherzukommen, und Golfo ist auch schnell. Im Zickzack saust er um die scharfkantigen Vorsprünge herum, findet die schmalen Lücken zwischen den von Wind und Wetter zernagten Vulkantrümmern, sein Herrchen immer im Blick. Erst als Damián fast vor uns steht, sieht man die dünne, lange Stange, die ihm beim Abstieg half. „Lanze“ nennen sie die Hirten auf Teneriffa. Das klingt etwas martialisch und liegt an der Eisenspitze, mit der sie im Fels unter dem Springer Halt findet. Erst dann rutscht Damián daran herab. Bis zu vier Meter ist der biegsame Holzstab lang, oben etwas dünner als unten, damit das Bremsen leichter fällt; eine jahrhundertealte Erfindung, ohne die Ziegenhaltung auf den Kanaren unmöglich gewesen wäre.
Ziegen waren vor dem Tourismus überlebensnotwendig für die Bewohner, die einzigen Nutztiere, die mit dem schwierigen Terrain der von Lavaeruptionen geformten und stets neu aufgerissenen Inseln zurechtkamen; die den Menschen Käse, Milch und Fleisch gaben. Auch viele Canarios haben das vergessen, so sehr haben sie sich daran gewöhnt, zu leben wie Engländer, Skandinavier und Deutsche, die jahrein jahraus zuverlässig und millionenfach einfliegen, um hier ihre Ferien zu verbringen; daran, dass der Supermarkt sie nun versorgt und nicht mehr das Land, auf dem sie leben. Erst sechzig Jahre ist das her.
Im Hirtensprung über Felsspalten hinweg
Damián Acosta hat es nicht vergessen, und für Golfo war es nie anders. Der Hirtenhund von der Nachbarinsel El Hierro folgt ihm wie ein Schatten. Damián lebt den modernen Stadtalltag vieler junger Canarios an der Küste, trifft sich aber mit Freunden am Wochenende, um die alte Kunst des Salto del Pastor, des Hirtensprungs, zu pflegen. Und weil er das ernst nimmt, zeigt er ihn auch gerne anderen. Jahre müsse man üben, sagt er, um die Griff- und Rutschtechniken zu beherrschen. Könner schafften es, acht Meter Höhenunterschied zu überwinden, erst springend und dann rutschend. Bergauf funktioniere das übrigens auch und über Felsspalten hinweg. Dann führt er es noch mal vor, und Golfo schaut wie gebannt zu.
Damián, der Felsenspringer, steht für eine neue Generation Canarios. Sie sehen die Zukunft der Inseln nicht mehr nur im Bermudadreieck aus Sonne, Strand und Meer. Dort, wo seit Jahrzehnten eine amorphe Masse bleichgesichtiger Nordländer vom Mahlstrom der Bettenburgen aufgesogen wird, die sie inzwischen bis zur Abreise nicht mehr hergeben. Immer weniger Urlauber verlassen die Gettos überhaupt noch. All inclusive ist zum Totengräber für Dutzende kleiner Familienbetriebe geworden. Das bestätigen alle auf Teneriffa.
Was alle Führer anpreisen, geriet außer Kontrolle
Damit soll nun Schluss sein. Die Wirtschaftskrise Europas und noch mehr die im eigenen Land haben die Spanier nach Dekaden unendlich scheinenden Wachstums endlich aufgeschreckt. Nichts ist für immer sicher, auch nicht im Kanaren-Tourismus. Eine neue Initiative soll daher nun den Blickwinkel wieder öffnen auf das, was die Inseln so einzigartig macht: ihre Lage, ihre Geographie, ihre Menschen. Und Damián ist mit von der Partie. Im Dezember startet auf Teneriffa „Volcanes de Vida“ - „Vulkane des Lebens“. Die griffige Formel soll Land und Leute wieder in den Fokus rücken, Menschen neugierig machen, egal ob sie aus dem Ausland, vom spanischen Festland oder von den Kanaren selbst kommen. Denn auch viele Canarios kennen ihre Heimat kaum noch. Es soll ein ehrlicher Blick sein, keiner, der Klischees von Sangría bis Paella bedient. Fünf Rundfahrten auf der größten Insel des Archipels wurden dafür ausgearbeitet. Die erste ist jetzt fertig. Die Regierung Teneriffas hat intensiv dafür geworben, sich an der Initiative zu beteiligen, bei Landhotels, Restaurants, lokalen Veranstaltern der Insel. Mit Erfolg.