Atlantikinsel Madeira : Erzähl mir was!
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Brandung, so weit das Auge reicht: Ein Wanderer über dem Meer auf Madeira. Bild: mauritius images
Riesenhasen mit Fangzähnen, Rotwein mit Brandy und ein Winter, der ein Sommer ist: Warum man gerade jetzt auf die portugiesische Insel Madeira fliehen sollte.
Vom dortigen Naturschutzwart war letztens zu erfahren, dass es Sylt in 8000 Jahren nicht mehr geben werde. Schön langsam wird es einfach weggespült vom Meer, denn die Luxusbadeinsel ist nicht viel mehr als beweglicher Sand. Erst erschrickt man angesichts des Ablaufdatums, doch beruhigt man sich schnell wieder, weil „die Welt in 8000 Jahren“ den eigenen Vorstellungshorizont wirklich weit übersteigt. Trotzdem hätten wir gern, dass bitte alles bleibt, wie es ist. Nur dann könnte man sich einer Zukunft nach dem eigenen Tod ja überhaupt gedanklich nähern: Wenn wenigstens die Landkarten stabil wären! Man kommt doch kaum mit dem Staunen darüber nach, wie alles geworden ist.
Es geht kilometerlang in die Tiefe
Madeira zum Beispiel, das stolz allein mitten im Atlantik liegt, nicht in freundschaftlich hingewürfelter Gruppe wie die Azoren oder Kanaren oder Kapverden – da werden Schönheit und Zufälligkeit noch einmal ganz deutlich. Anders als Sylt ist es viel dramatischer entstanden, vielleicht auch deshalb haltbarer. Genau hier jedenfalls, wo sich heute der Atlantik silberblau-ungerührt nach allen Seiten streckt, brodelten im Pliozän die Vulkane, und das, was da als Garten Eden das ganze Jahr blüht und grünt, dass man mit dem Schauen kaum nachkommt, ist nur das oberste Viertel eines Gebirges, das viele Kilometer in die Tiefe reicht.
Die portugiesischen Seefahrer, die irgendwann im 14. Jahrhundert auf einen abweisenden Lorbeerwald mitten im Meer stießen, haben sich zuerst gar nicht an Land getraut. Misstrauisch ankerten sie an einer vorgelagerten Felsformation und beobachteten das buschige Grün. Ihr Zögern erklärten sie damit, dass sie vom Schiff aus zwei Meter große, aggressive Riesenhasen mit gigantischen Fangzähnen gesehen hätten. Und diese lapiniden Monster wurden auch als Grund für die Brandrodungen vorgeschützt, als sich die ersten tapferen Hasenkämpfer dann doch auf die Insel wagten.
Sieben Jahre lang brannte die Hälfte der Insel. Danach war der südliche Teil erst einmal nackt und bloß. Und deshalb mussten später zur Bewässerung die vielen künstlichen Kanäle, die Levadas, angelegt werden, an denen entlang heute besonders die Deutschen so gern kreuz und quer die Insel abwandern.
Portugiesische Küche : Thunfisch-Rezept von der Insel Madeira
Auf Madeira ist neuerdings ein Beruf entstanden, der sich hoffentlich bald auch anderswo durchsetzen wird. Es handelt sich um eine ästhetisch schöne, altmodische Tätigkeit in einer Zeit, wo wir unseren Eltern – den Kindern nicht! – erklären müssen, was Start-up-Manager, Influencer und It-Girls eigentlich sind – falls wir es denn selbst wissen. Es ist auch nicht zu befürchten, dass durch diese neue Profession die Reiseführer geschädigt werden, denn das kann wahrlich nicht jeder: Hier gibt es also neuerdings eine Geschichtenerzählerin, mit der man „Food and Wine“-Touren unternehmen kann. „I am not a guide, I am a storyteller“ – das ist, unverwechselbar, Sofia Maul mit den melancholischen Augen, die seelisch weniger robust sein dürfte, als ihre Statur behauptet. Sofia entstammt einer deutsch-schwedisch-portugiesisch-englischen Familie, also einer echt madeirischen Mischung. Ihr Großvater war der deutsche Biologe, Fischkundler und Tierpräparator Günther Maul, der das Naturkundemuseum in Funchal gegründet und großteils mit eigenen Präparaten ausgestattet hat. Heute ist in der Hauptstadt ein Platz nach ihm benannt. Ihr Vater war jener Bierbrauer, der nicht nur das sehr anständige Madeira-Lagerbier „Coral“ entwickelt hat, sondern auch die Limonade, die es nur hier gibt: „Brisa“, den typischen Maracuja-Erfrischungsdrink. „Wer von uns lange weggewesen ist“, sagt Sofia, und ihrem versonnenen Blick ist anzusehen, dass sie damit auch sich selbst meint, ihre zwanzig langen Jahre in Lissabon, „der trinkt sofort nach der Ankunft ein ‚Brisa‘, noch am Flughafen.“