Deutsche Farbenlehre (4): Rotenburg : Besonders starker Wildwechsel
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„Am Wasser“ ist die Adresse der Ehlermannschen Speicher. Sie könnte freilich für so manches Haus in Rotenburg gelten, das nicht nur an der Wümme liegt, sondern zudem von etlichen Kanälen durchzogen ist. Bild: Reiner Spangemacher
Kunst darf liebenswürdig sein, es schadet aber nicht, wenn sie nachdenklich stimmt: Ein Spaziergang durch Rotenburg samt Abstecher Richtung Moor.
Von Frankfurt am Main aus Richtung Süden landet man nach vierhundertfünfzig Kilometern am Thuner See in der Schweiz. Richtung Norden führt die gleiche Strecke an den Kleinen und den Großen Bullensee, wobei der Letztere auf dem Gebiet der Gemeinde Rotenburg an der Wümme liegt - Rotenburg ohne h! Im nördlichen Niedersachsen.
Von Süden also kommend auf dieser Deutschlandfahrt, schwimmt das Auto im strömenden Regen mehr, als dass es fährt, doch kurz vor dem Ziel reißt der Himmel auf, und das letzte Stück auf der Bundesstraße 215 sieht schon eine Julisonne, die von nun an für zwei Tage ungewöhnlich stark scheinen wird. Sattes Grün links und rechts, alles naturgemäß topfeben, so dass die bemerkenswerten Schilder „Achtung! Besonders starker Wildwechsel“ am Rand sich wiederholen. Vor lauter Obacht auf die potentiellen Rehe langsam fahrend, erwischt der Blick ein Wohnmobil auf der linken Straßenseite, halb im Waldrand verborgen, hinter dessen Frontscheibe ein roter Neonstab glüht. Mit dem verschärften Wildwechsel wird dieser Wink wohl kaum etwas zu tun haben, eher damit, dass Rotenburg an der Wümme bestimmt kein Sündenpfuhl ist.
Beinahe metropolitanes Hupen
Die Straße führt zu einem sehr aufgeräumten Städtchen, durch das hindurch, im Prinzip, vier Bundesstraßen laufen, was Rotenburgs Funktion eines Knotenpunkts im Dreieck zwischen Bremen, Hannover und Hamburg markiert - eher theoretisch. Denn die Bundesstraßen sind inzwischen ausgebremst, im Wortsinn. Die Stimme des GPS im Auto klingt ein wenig verzweifelt bei dem Versuch, das Hotel Garni „Am Pferdemarkt“ im Zentrum anzusteuern. Der Weg dorthin führt mit der sprichwörtlichen Kirche ums unbedingt verkehrsberuhigte Dorf; „20 km“ steht in weißen Lettern auf den sorgfältig mit Steinen in verschiedenen Farben und Formen gepflasterten Straßen. Da haben sich die Planer einige Mühe gegeben. Allerdings folgt prompt eingeborenes, beinah metropolitanes Hupen von hinten als Reaktion auf die zögerliche Umschau, ob das Auto da wohl „Am Pferdemarkt“ parken dürfe. Das örtliche Kennzeichen heißt ROW, diese Buchstabenfolge auf deutschen Nummernschildern wäre jetzt immerhin geklärt. Was läge näher, als daraus ROW-DY zu machen? Aber in den zwei Tagen, die folgen, gibt sich nur ein einziger japanischer Kleinwagen als ROW-DY zu erkennen. Nein, dieses Gemeinwesen hat keinen Sinn für Krawallschachteln. Allerdings allen Raum für Radfahrer, und deren Selbstbewusstsein auf phantastisch bereiteten Wegen steht großstädtischen Gepflogenheiten in nichts nach.
Die Welt in Rotenburg ist backsteinrot, so weit das Auge reicht, auch wenn die Herkunft des Namens ungeklärt ist, der heutige Ortskern wie zusammengebacken aus Klinkern, viel fein gehütetes Fachwerk dazwischen. Irgendwie ergibt das die Anmutung einer Burganlage, was ja auch den Ursprüngen entspricht. Denn Ende des zwölften Jahrhunderts baute der Bischof Rudolf von Verden seine Burg Rotenburg als Bollwerk gegen den erzbischöflichen Bremer Kollegen und dessen Burg Ottersberg auf. Die längste Zeit hieß Rotenburg dann „i. Hann.“, was Hannover meint. Erst 1969 hat die Kreisstadt entschieden, sich zur Wümme zu bekennen. Was charmant ist; denn die Wümme ist wirklich ein Flüsslein, ein - offenbar auch umgelenktes - Wässerlein, das selbst keinerlei Aufhebens um sich macht und dem noch Rodau und Wiedau zur Seite plätschern. Und beim Spazieren dort an den Gestaden ist es gut sein.