Toscolano am Gardasee : Das Tal der Papiermühlen
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Toscolano-Maderno: Etwa vierzig Papierfabriken drängten sich einst in dem schmalen Tal. Bild: Picture-Alliance
In einem engen Tal im Hinterland des Gardasees wurde jahrhundertelang kostbares Büttenpapier gefertigt. Die letzte Fabrik ist heute ein Museum.
Schlank und rank reckt sich der Schornstein zwischen Zypressen empor, wie ein Zeigefinger, der im Hinterland des Gardasees Interessantes ankündigen will. Er steht im Valle delle Cartiere, dem Papiermühlental, nicht weit entfernt vom Toscolano-Bach, dessen klares Wasser gemächlich dahinplätschert. Zur Stromerzeugung drosselt eine Staumauer talaufwärts seinen Zulauf. Das war nicht immer so, denn über Jahrhunderte toste der Toscolano als Wildbach ungebremst durchs Tal. Seine Energie war für ganz besondere Zwecke gefragt.
Schon im Jahr 1381 regelte eine Notariatsurkunde den Zugriff der Gemeinden Maderno und Toscolano auf das nasse Gut. Darin wurden auch die Stampfwerke einer Familie Bellinzani erwähnt, die, vom Wasser angetrieben, Lumpenfetzen zerrieben. Seit dem vierzehnten Jahrhundert brachten Lumpensammler ausgediente Leinentextilien hierher, wo sie von Frauen- und Kinderhänden zerrissen wurden. Es war das Rohmaterial, aus dem anschließend kostbares Büttenpapier hergestellt wurde.
Die Staumauer wird doch wohl halten?
Eine kleine Straße führt vom Ort Toscolano in die enge Schlucht und zurück in eine Zeit, als Papier etwas Besonderes und längst nicht für jeden erschwinglich war. Zwischen der üppigen Vegetation tauchen erste Ruinen auf. Die Mauern deuten auf große Häuser hin, auf Geschäftigkeit, Trubel und geräuschvolles Leben. Doch bis auf den leisen Lauf des Wassers ist es still. Über die zerfallenden Denkmäler verschwundener Handwerkskunst hat sich blühende Flora ausgebreitet.
Damit dieser Verfall nicht als Signal für heimliche Entsorgung verstanden wird, mahnen Schilder: „Tal der Papierfabriken – bitte sauber halten. Müll abladen verboten.“ Und bald darauf die Warnung: „Achtung, Gefahr. Möglichkeit plötzlicher Flutwellen.“ Die Staumauer flussaufwärts wird doch wohl halten? Jenseits des Bachs rieselt ein dünner Wasserfall die dicht bewachsene Talwand hinab. Auch diesseits tröpfelt es auf heimische Pflanzen: An geschützten Stellen überzieht das Venushaar, eine Farnart, große Flächen. Dazwischen ist mit dem Fetthaar eine der wenigen fleischfressenden Pflanzen des Gebiets zu finden. An kahlerem Fels ziehen sich Drahtnetze in die Höhe, damit keine Steine auf die Straße hinabfallen.
Von 1871 bis 1878 ließen die Besitzer der Papiermühlen die Straße ausbauen. Der schmale, teils holzverstärkte Pfad, über den jahrhundertelang Material und Menschen in das Tal hinein- und wieder herausgelangten, reichte für das brummende Geschäft nicht mehr aus.
Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert wurde das Valle delle Cartiere dank der herausragenden Qualität des dort produzierten Papiers zum ersten Papierzentrum der Republik Venedig. Erst die Pest bremste diese Entwicklung ab 1630. Doch Anfang des achtzehnten Jahrhunderts ging es weiter. Etwa vierzig Papierfabriken nahmen ihren Betrieb wieder auf, bis die Maina Inferiore als letzte noch aktive Papierfabrik im Tal 1962 ihre Tore schloss. Auf Initiative des Vereins „Lavoratori Anziani della Cartiera di Toscolano“ wurde das Haus in ein Papiermuseum umgewandelt, das vom 15. März bis zum 15. Oktober geöffnet ist. „Ein Blick in die Vergangenheit lohnt für die Gegenwart“, hielt ein Besucher im Gästebuch fest.
Toscolano druckte auch für deutsche Reformatoren
Im Eingang des Museums begrüßt eine kunstvolle Collage aus Papier und Pappe, ein Arrangement aus Geldscheinen, Spielkarten, Kassenrollen, Druckseiten, Notizblöcken, Eierkartons, Visitenkarten, Taschentüchern und Toilettenpapier. Der Anblick macht bewusst: Auch wenn heute Gedanken auf dem Smartphone notiert werden, wenn digitale Post den handbeschriebenen Briefbogen ersetzt und Buchseiten geräuschlos im E-Reader umgeblättert werden, wächst der Papierhunger weltweit. Und er wird trotz Digitalisierung steigen.