Böhmischer Baumeister : Der Mann, der Gotik und Barock versöhnte
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Die Kirche auf dem grünen Hügel: Santini-Aichels Meisterwerk ist heute als Weltkulturerbe anerkannt. Bild: Andrea Diener
Die eigensinnigsten Barockbauwerke finden sich ausgerechnet im ländlichen Böhmen. Zu verdanken sind sie Johann Blasius Santini-Aichel, einem Architekten aus Prag, der alles anders machte als seine Zeitgenossen.
Da oben auf dem Hügel über Žd’ár nad Sázavou liegt eine der seltsamsten Kirchen überhaupt. Außen der Kreuzgang, zehnzackig, fünfhundert Meter im Umfang. Wer ihn umrundet, läuft durch fünf Kapellen. In der Mitte des Rundgangs steht die fünfzackige Kirche, ein Stern im Stern. Keine Wand ist gerade. Das liegt daran, dass der Architekt der Wallfahrtskirche des heiligen Nepomuk, der böhmische Baumeister Johann Blasius Santini-Aichel, den Entwurf nicht mit dem Lineal, sondern vollständig mit einem Zirkel gezeichnet hat. Und das wiederum liegt womöglich daran, dass Santini von Haus aus kein gelernter Architekt war, sondern Maler.
Im Kanon der Barockvorlesungen, die jeder angehende Kunsthistoriker absolviert, taucht Santini-Aichel nicht auf. Dort finden nur diejenigen Erwähnung, die einander beeinflusst haben, denn Lehrstoff ist nur, wer Wirkung hatte. Santini hingegen war ein Sonderweg, er steht für eine böhmische Sackgasse der Architekturgeschichte. Er baute nicht nur sternförmige, mit Zahlenmystik vollgestopfte Kirchen, er erfand auch den Gotik-Barock, was im zentralen Europa des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts kein Mensch brauchte, denn den ganzen verquasten Maßwerkquatsch hatte man ja nun gerade glücklich hinter sich gebracht. Man stukkatierte und skulpturierte lieber nach klassischem Vorbild, stellte antike Säulen in helle Hallen und malte alles in Pastellfarben aus. Wo umwölkte Engelchen in der Ecke kleben, da braucht es keine Rippengewölbe, so die gängige mitteleuropäische Auffassung, aber Santini sah das ganz anders. Er versöhnte die Üppigkeit des Barocks mit gotischer Strenge und traf damit genau den Nerv seiner böhmischen Zeitgenossen. Das hat historische Gründe und ist erklärungsbedürftig.
Aber beginnen wir von vorn, nämlich am 3. Februar 1677 in Prag. Dort wurde Johann Blasius – oder Jan Blazej, wie er in Tschechien heißt – am Tag des heiligen Blasius als Enkel eines Einwanderers aus Oberitalien und Sohn des respektablen Steinmetzes Aichel geboren. Viele Hoffnungen ruhten nicht gerade auf dem Bub, er litt unter einer halbseitigen Lähmung und war daher für das Steinmetzhandwerk ungeeignet. Man drückte ihm also Pinsel in die Hand und hoffte das Beste.
Fortan wollte er einen italienischen Namen
Wahrscheinlich lernte der kleine Johann einiges vom Prager Baumeister Jean Baptiste Mathey, einem Geschäftspartner seines Vaters, wahrscheinlich auch von dem Hofmaler Christian Schröder. Genau weiß man es nicht, allerdings ist man sich sicher, dass er anschließend durch Österreich und Italien reiste, wie künstlerisch ambitionierte Buben es in dieser Zeit gern taten. In Rom stand er dann sprachlos vor den geschwungenen Fassaden des Baumeisters Borromini, der mit wenig Farbe, dafür mit umso wuchernderer Formensprache arbeitete. Borromini baute ovale Spiraltreppen und Kolonnaden, die durch kleiner werdende Säulen Raumtiefe suggerierten, hochkomplex kassettierte Kuppeln und so unübersichtlich gestaltete Räume, dass man von innen beim besten Willen nicht sagen kann, welche Form das Ding von außen eigentlich hat. Johann Blasius Aichel war von der italienischen Baukunst so fasziniert, dass er sofort den Nachnamen seines Großvaters annahm und fortan Santini-Aichel heißen wollte.