Auf den Spuren von Tove Jansson : An Helsinkis Hafen kommt ein Stein ins Grollen
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Malerisches Zuhause: An Helsinkis Hafen wuchs Tove Jansson auf Bild: Franck Guiziou/hemis.fr/laif
Finnlands Hauptstadt ist bereit: Am 9. August jährt sich der Geburtstag von Tove Jansson, der Mutter der „Mumins“, zum hundertsten Mal. Es gibt es eine große Gedenkausstellung. Auch eine Spurensuche in Hafen von Helsinki lohnt sehr.
Der Stein „lag zwischen dem Kohlehaufen und den Güterwagen unter ein paar Brettern, und es grenzte an ein Wunder, dass noch niemand vor mir ihn gefunden hatte“. Denn der Stein war zweifellos aus purem Silber und würde die Familie von allen Sorgen befreien. Wenn das Mädchen, das ihn entdeckt hatte, ihn nur irgendwie unbeschadet nach Hause brächte.
So steht es in Tove Janssons Erinnerungsbuch „Die Tochter des Bildhauers“, in dem die Frau, die später mit ihren „Mumins“ weltberühmt wurde, aus ihrer Kindheit in Helsinki erzählt - von der schwedischen Mutter, die Kinderbücher illustrierte, vom genialischen Vater und den Skulpturen, die er schuf, und von der Atelierwohnung in der Nähe des Hafens, wo die Familie lebt, der Vater seine Künstlerfreunde zu Festen einlädt und die Tochter von ihrem Hochbett in einer Wandnische das ganze Treiben beobachtet.
Natürlich möchte man das sehen, gerade jetzt, wo in Finnland zum hundertsten Geburtstag der Künstlerin am 9. August überall an Tove Jansson erinnert wird. Wer mit dem Zug in Helsinkis Hauptbahnhof ankommt, sieht schon die Plakate, die auf die große Jansson-Ausstellung im Ateneum hinweisen, in den Läden ist man von Mumin-Tassen, -Keksen, -Spielzeug oder -Pflastern umstellt. Wer mag, findet auf einer Insel bei der Kleinstadt Naantali einen ganzen Mumin-Freizeitpark.
Ein schmaler Streifen aus reinem Silber
Aber wo war das Atelier der Eltern, wo war das mit dem Silberstein? Glücklicherweise verrät Tove Jansson in ihrem Buch die Adresse: Lotsengasse 4B, eine kurze Straße auf einem Hügel in Hafennähe, und wenn das Mädchen den schweren Stein, wie sie es beschreibt, tatsächlich stumm und zäh über Kreuzungen und Straßenbahngleise bis hier hinaufgerollt hat, dann ist das keine Kleinigkeit.
Die Wohnhäuser der Lotsengasse mit ihren türmchenseligen Jugendstilfassaden sind einheitlich hoch, so hoch, dass es hier an diesem grauen Tag noch etwas düsterer ist als auf den breiten Boulevards der Stadt. Hinter Tove und ihrem Stein, so schreibt sie, zog sich „ein schmaler Streifen aus reinem Silber“ her. Sie erreicht das Torgewölbe, bringt auch die Haustür auf. „Doch dann kamen die Treppen.“
Das Haus mit der Nummer 4 besitzt tatsächlich ein Torgewölbe, man kommt von da aus in den Hof mit vielen Balkonen, Mülltonnen, ein bisschen Rasen. Irgendwo kreischt eine Möwe, es riecht nach Braten, ein paar Wäschestangen stehen leer, kein Mensch lässt sich blicken. Und die mit Holzschnitzereien verzierte Tür zum Aufgang 4B ist natürlich zu.
Dabei kommt jetzt der schönste Teil von Tove Janssons Kindheitserinnerung, der Moment, in dem das Mädchen alle Kraft zusammennimmt und den Silberstein Stufe für Stufe hinaufhievt. Die Wendeltreppe wird nach oben hin immer schmaler, aber es geht ja um einen Schatz: „Zwischendurch legte ich mich auf den Stein, um einfach zu atmen, und sah das Silber an, Silber für viele Millionen, und nur noch vier Stockwerke.“ Dann rutscht ihr der Stein aus den Händen, poltert den ganzen Weg wieder hinunter und schlägt dabei kleine Halbmonde in die Stufen.
Als ich mich einem Ehepaar vorstelle, das gerade sein Auto aus der Garage holt, schließen sie mir die Haustür auf und fahren davon. Das Treppenhaus ist so eng, wie es sein sollte, Halbmonde sind zwar keine in den Stufen, aber in knapp hundert Jahren kann man das ja ausbessern. Und tatsächlich ist oben im fünften Stock ein Balkon wie der, auf dem sich der letzte Akt von Toves Geschichte abspielt. Als das Mädchen den Stein ein zweites Mal hochgerollt hat, rutscht er ihr über den Balkon in den Hof, wo er krachend zerbirst und alles in Silberstaub taucht - „niemand erfuhr, wie kurz wir davor gestanden hatten, reich zu werden“.
Man sollte zum Hafen gehen, sicherheitshalber, und bei den alten Eisenbahngeleisen ins Gebüsch schauen, ob da etwas silbrig glänzt.