Prag und der Erste Weltkrieg : Ein Prosit mit Schwarzbier auf den Thronfolgertod!
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Ein Ständchen für den besten Stammkunden: Dank des braven Soldaten genießt die Prager Kneipe U Kalicha Weltruhm. Bild: IMAGO
Der brave Soldat Śvejk ist der grandiose Anarchist der Weltkriegsgeschichte. Prag war seine prachtvolle Bühne. Was ist von Jaroslav Haseks Jahrhundertfigur nach hundert Jahren geblieben?
Wie überall in der Monarchie schlägt die Nachricht vom Attentat in Sarajevo auch in einem düsteren Prager Mietshaus hinter dem Karlsplatz ein wie eine Bombe. „Also Sie ham uns den Ferdinand erschlagen!“, ruft Frau Müller, die Zugehfrau des Hundehändlers Josef Śvejk. Nachdem geklärt ist, dass es sich dabei keineswegs um zwei nichtsnutzige Bekannte des Herrn Śvejk handelt, sondern um den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, ruft er aus: „Jesusmaria! Das is aber gelungen!“
Dieses „gelungen“ ist denn auch der Grund, warum man bei einer Śvejk-Exkursion durch Prag die alte Übersetzung von Grete Reiner dabeihaben sollte. Sie enthält einfach mehr schlitzohrige Bosheit als die gerade erschienene und hochgelobte Neuübersetzung von Antonín Brousek. Da heißt es dann eben brav: „Na, das ist aber ein Ding.“ Dabei unterstreicht gerade dieses „gelungen“ den heimlichen Beifall der damaligen Prager Volksmeinung. Während die deutschsprachige Minderheit sich eng mit der seit vierhundert Jahren herrschenden Habsburgerdynastie verbunden fühlte, war sie bei der tschechischen Mehrheit überaus unbeliebt. Gern wäre man sie los gewesen, aber ein repressiver Polizeiapparat verhinderte alle Autonomiebestrebungen.
Hasek würde sich in seinem Armengrab umdrehen
Ihre Ohnmacht reagierten die Tschechen mit ironischem Spott ab, der sich gern als übertriebene Loyalität tarnte. Auch Herr Śvejk macht sich gleich auf in seine Stammkneipe „U kalicha“ (Zum Kelch), in der er zu Ehren des ermordeten Erzherzogs ein schwarzes Bier bestellt: „In Wien ham sie heut auch Trauer.“ Dunkles Bier gibt es immer noch im „U kalicha“ an der Straße Na Bojisti 12. Sonst aber ist aus der alten Anarchistenkneipe schon lange ein böhmischer Komödienstadel geworden, in dem der betrügerische Hundehändler Śvejk als Schutzpatron fürs Touristengeschäft herhalten muss. Da gibt es „Schnitzel à la Oberleutnant Lukas“ oder die „Bretschneider-Pfanne“, und am Abend spielt man in k.u.k. Uniformen zur Polka auf. Die literarische Figur des anarchistischen Schriftstellers Jaroslav Hasek hat heute einen nahezu unbezahlbaren Marktwert für Prag. Hasek würde sich in seinem Armengrab umdrehen: Wie viele Bierchen hätte allein das Copyright für den Śvejk dem stets klammen Säufer eingebracht?
Aber Josef Śvejk ist ja Misshandlungen und Missverständnisse gewohnt. Ob er heute dem Tourismus dient oder einst dem österreichischen Vaterland: „Maul halten und weiterdienen“ ist seine Devise, hinter der sich der nicht totzukriegende, schlitzohrige, aber auch indolente tschechische Kleinbürger verbirgt, dem die Habsburger den Buckel runterrutschen können. Den findet man übrigens auch heute noch, fünfzehn Minuten weiter in der herrlichen Kneipe „U Traicu“ an der Vysehradská: Da gibt es eine Kuttelsuppe vom Feinsten und sogar Bier aus Holesice, wo der Kater Mikes herkommt. Jarda, ein Dicker, dessen Bierdeckel bereits sechs Striche zeigt, grinst: „Was willst du? Der Śvejk ist ein hübsches Alibi für uns. Wenn wir die Deutschen hereinlegen, freuen die sich auch noch und sagen: Klar, ein richtiger Śvejk.“ Und unser Freund Jiří Franc, ein regelrechter Fachmann für Śvejk und Hasek, ein Haskologe sozusagen, ergänzt: „Heute ist die Europäische Union unser Österreich, vor der wir so tun, als hätten wir sie lieb.“