Anti-Gravity-Yoga : Schwebe lieber ungewöhnlich
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Bild: Illustration Kera Till
Neues aus des Welt des Om: Wer „Anti-Gravity-Yoga“ in Hamburg besucht, lässt die Schwerkraft hinter sich.
Es ist hart, sich einen Aspekt des Lebens vorzustellen, der allgegenwärtiger und fundamentaler wäre als die Schwerkraft. Alles wiegt Tonnen. Die Einkaufstüten mit dem Biogemüse, die spätgeborenen Zwillinge, die neue Installation im Wohnzimmer, ach, jede Entscheidung, die einem in diesem Jahrtausend im Sekundentakt abverlangt wird: schwer, schwer, schwer.
Mit bemerkenswertem Timing hat die Yoga-Industrie nun etwas erfunden, wovon selbst Newton schwindlig geworden wäre: das Anti-Gravity-Yoga oder Aerial-Yoga.
Wie Fledermäuse an der Decke hängen
Entwickelt von Christopher Harrison, einem alternden New Yorker Akrobaten, legt Anti-Gravity-Yoga den Schwerpunkt auf die Öffnung der Hüften, Rückbeugen und Umkehrhaltungen und schont dabei extrem Rücken und Gelenke, ein Grund dafür, warum die Nachfrage nach dem neuen Trend aus Amerika in Europa überall schlagartig steigt.
So hängen auch im Dachgeschoss des „Meridian Spa“ in Eppendorf fünfzehn Kursteilnehmer in großen Tüchern von der Decke wie Fledermäuse oder, besser gesagt, zumindest die letzte Reihe, in der sich auch die Reporterin versteckt hat, wie Schinken, etwas unförmig, ungläubig, die eigene Sterblichkeit noch allzu deutlich spürend.
Zu Beginn stehen wir alle noch auf einer Matte, wie man sie aus herkömmlichen Yoga-Klassen kennt, über uns ein meterlanges, breites Tuch, das an festen Metallhaken an der Decke angebracht ist. Zunächst schwingen wir zaghaft, das Tuch unter die Schultern geklemmt, die Füße fest am Boden, von Seite zu Seite. Doch langsam wird die Bewegung größer, kreisförmiger, saftiger und gewinnt an Tempo. Die Fortgeschritteneren schwingen fast manisch im Kreis, von der letzten Reihe voller Respekt beobachtet.
Die Hüfte in die Lüfte
Dann verlassen wir den Boden der Tatsachen, die für alle, die sich in diesem Luxusgym den Monatsbeitrag leisten können, nicht allzu hart sein dürften, müssen in das Tuch wie eine Schaukel hineinklettern, die Beine anwinkeln und die Fußsohlen zusammenbringen. Wir erfahren, dass wir auf diese Weise die Hüften öffnen, wogegen niemand Einspruch erhebt. Ein mühsames Unterfangen zunächst, doch sitzt man erst mal, ist es bequem, und leichter Übermut setzt ein. Wenn einen jetzt noch jemand anschubsen würde?
Doch danach wird es wirklich ernst. In kleinen, einfachen Schritten sollen wir nun auf Anweisung der Lehrerin, den Po noch im Tuch, die Beine nach oben schwingen, die Schienbeine zur Sicherheit um die Enden des Stoffes winden, den Kopf nach unten hängen und, als sei das noch nicht genug, auch noch die Arme nach unten baumeln lassen. Als habe sich jemand eine Illustration für die kopflose Politik dieser Tage ausgedacht, hängen wir wie nasse Säcke von der Decke, jämmerlich.
Loslassen und Freiwerden
“Es geht ums Loslassen“, hat uns die Yoga-Lehrerin, eine zarte, gleichwohl energische Frau, vorher gewarnt. Das Tuch, das nur ganz wenig nach dem Loslassen der vorherigen Kursteilnehmer riecht, sei nun „unser Partner“. Wir sollten uns darauf einstellen, dass „tiefe Empfindungen frei werden“ könnten. Manchen würde sogar übel. Da dies die üblichen Risiken und Nebenwirkungen sind, mit der jede Yoga-Methode für ihre befreiende Wirkung wirbt, hat uns das nicht abgeschreckt. Theoretisch.